Behavioral Living

Erben bringt Scherben

am
5. März 2014

Traf unlängst wieder einmal Freund K., der mir von seinem weit entfernten Nenn-Onkel erzählte. Alt und gebrechlich, wenn nicht sogar ein wenig dement sei dieser mittlerweile geworden, erzählte er mir betrübt. Umso trauriger, dass „Onkelchen“ auch noch ganz alleine ist, weil seine Frau vor zwei Jahren verstarb und es keine Kinder oder andere nahe Verwandte gibt, die sich um ihn kümmern könnten. Was blieb dem guten K. da anderes übrig, als sich selbst des armen alten Onkels anzunehmen? Doch hat er sich damit wirklich viel aufgebürdet, denn der angeheiratete Oheim wohnt Hunderte von Kilometern von K.‘s Wohnort entfernt, immerhin aber in einem Pflegeheim, so dass er jedenfalls gut versorgt ist. Also machte sich K. einmal im Monat auf, um seinen entfernten  Verwandten zu besuchen und um nach dem Rechten zu sehen.

Anfangs geschah das bestimmt aus reiner Nächstenliebe, doch mit der Zeit entwickelte sich sogar eine gewisse Zuneigung, die bei K. noch größer werden sollte, als er erfuhr, der liebe Onkel wolle ihn in seinem Testament bedenken, damit nicht der Staat alleine alles erben würde. K. ging die Sache einerseits mit einem gewissen Tempo an, da man nicht wissen konnte, wie lange der Onkel angesichts der sich immer deutlicher abzeichnenden Demenz noch in der Lage wäre, ein notarielles Testament zu unterschreiben. Andererseits nahm sich K. noch so viel Zeit, sich steuerlich und juristisch beraten zu lassen. Denn die Erbschaftssteuer würde im Fall des Falles unbarmherzig zuschlagen, wie K. mir erläuterte. 500.000 Euro wären ja ein schönes Vermächtnis in spe, wenn da nicht ein Steuersatz von 30 Prozent in Ansatz gebracht würde, sinnierte er unlängst beim gemeinsamen Mittagessen mit mir. Aber immerhin gäbe es einen Freibetrag von sage und schreibe 20.000 Euro, weswegen K. seine liebe Ehefrau gleich mit ins Boot nahm, um so im Sinne einer Optimierung der künftigen Familienfinanzen den doppelten Steuerfreibetrag geltend machen zu können.

Ich bin weder Steuerfachmann noch Jurist, aber über den Daumen hätte dies eine Steuerersparnis von zwölf statt 6.000 Euro bedeutet. Doch jedes Mal, wenn ich in Deutschland von Steuervorteilen höre, schrillen bei mir sogleich die Alarmglocken. Sei es, dass es um irgendwelche Immobiliengeschichten oder bestimmte Fonds ging – ich kenne viele, die mir von den tollen Schnippchen erzählt haben, die man dem Fiskus ganz legal schlagen könne. Aber ich kenne niemanden, der per Saldo mit solchen Investments über die Jahre verlustfrei geblieben oder gar mit einer satten Rendite herausgekommen wäre.  Aber bei K. lag die Geschichte ein bisschen anders.

 

Späte Reue – oder erben mit dem Homo oeconomicus

So geriet mein Freund beim heutigen Mittagessen ins Grübeln und sagte, die Idee, seine Frau mit ins Erbenboot zu nehmen, sei wohl doch nicht so gut gewesen. Nicht weil K. seine Frau (oder sie ihn) demnächst verlassen wolle. Aber im unwahrscheinlichen Falle einer Scheidung nach dem Hinscheiden des Onkels würde das ganze Erbe in den Zugewinn fallen und müsste dann wohl geteilt werden. „Das wäre tragisch“, bemerkte ich, denn ich glaube zu wissen, dass Ererbtes und Geschenktes nicht zum Vermögen zählen, das während der Ehe erwirtschaftet wurde, weswegen der Ehepartner, sofern er nicht im Testament bedacht war, von diesem Geld auch nichts bekäme.

Ich merkte, wie K. zu zweifeln begann, ob sich die ganze Geschichte mit dem gewonnenen Freibetrag denn überhaupt noch rechnen würde. Ich schlug ihm vor, doch wie ein Homo oeconomicus vorzugehen: Multipliziere den durch Zugewinn entgangenen Betrag aus der Erbschaft mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Ehe geschieden werden muss. K. multiplizierte schnell 250.000 Euro (die Hälfte der erwarteten Erbschaft) mit der von ihm geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit von 1 Prozent dieses fürwahr unerfreulichen Ereignisses. Und er stellte erleichtert fest, der Steuervorteil sei doch größer.

„Aber“, erwiderte ich mit meiner verhaltensorientierten Denke,  „die Eintrittswahrscheinlichkeit einer eigenen Scheidung unterschätzt man ganz leicht, weil man zu großes Vertrauen in die eigenen Kontrollmöglichkeiten setzt. Aber abgesehen davon riet ich K., er solle sich nicht so sehr den Kopf über ungelegte Eier zerbrechen, denn glücklicherweise sei der Onkel doch noch am Leben, und darüber müsse man doch vor allem froh sein. K. nickte – und schwieg. Sein Blick war abwesend.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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