Du bist nichts, dein Netz-Werk ist alles!
Die Piraten segeln zurzeit mit Rückenwind ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Ich selbst tue mich jedoch schwer mit ihrer zentralen Forderung, das Urheberrecht abzuschaffen. Anscheinend beabsichtigen sie, das Recht auf geistiges Eigentum dem Gedanken eines freiheitlichen Internets zu opfern. Überflüssig an dieser Stelle zu erwähnen, dass viele Informationen, Kommentare und Kolumnen, also publizistische und journalistische Arbeiten, ohnehin meist schlecht, wenn nicht gar miserabel oder überhaupt nicht bezahlt werden. Weshalb ich mir des Weiteren die Frage stelle, ob es außer den Beweggründen, sich im Schreiben selbst zu verwirklichen, eigene Ideen zu vermarkten, oder einem gesteigerten Mitteilungsbedürfnis auch noch weitere Motive gibt, sich zu äußern. Warum aber sollte jemand überhaupt noch etwas Geistiges produzieren, wenn er dessen Früchte nicht alleine nutzen darf, sondern umgehend der Allgemeinheit zur Verfügung stellen muss? Eine Einladung für Trittbrettfahrer, Plagiatoren und intellektuelle Faulenzer im Namen der Freiheit. Und eine nachträgliche Rehabilitierung für den vorerst gescheiterten Doktoranden Guttenberg.
Eine viel größere Gefahr sehe ich allerdings darin, dass mit dem grenzenlosen Kopieren geistigen Eigentums die Menge an verfügbaren Informationen zu einer Flut anschwillt, die sich, vor allem auch aufgrund der massenhaften Ausbreitung sozialer Netzwerke in den vergangenen ein bis zwei Jahren, zu einem wahren Tsunami entwickeln kann. Dabei hat sich das Grundrauschen des Nachrichtenstroms so deutlich erhöht, dass nur noch sehr bunte, gewagte, extreme Neuigkeiten von den Nutzern überhaupt wahrgenommen werden. Das ist nicht nur in den Finanzmärkten der Fall, sondern beeinflusst auch das politische Leben. Damit haben es Extrempositionen wesentlich leichter, nicht nur Akzeptanz zu finden, sondern sogar zur gesellschaftlichen Norm werden zu können, vor allem wenn ihre Urheberschaft auf Grund der Sozialisierung geistigen Eigentums nicht mehr kenntlich ist. Während andere, gemäßigtere Haltungen erst gar nicht gesehen werden.
Warum aber lassen sich so viele Wähler von den obskuren Ideen der Piraten kapern? Wegen der Politikverdrossenheit vieler Bürger? Weil die etablierten Parteien zu sehr am Status quo festkleben und deren Entscheidern Mut zu einem erhöhten Commitment fehlt, das zwangsläufig mit jeder neuen Entscheidung einhergeht? Eine Partei ohne klare Ziele, wie sie sich am intellektuellen Horizont der Piraten bislang auch nicht abzeichnen, muss hingegen nur ein geringes psychologisches Commitment eingehen. Alles scheint erlaubt. Hatte nicht erst neulich der Berliner Landeschef der Piraten, Hartmut Semken, erklärt[1]: „Ich werde nicht verachten lernen, deswegen werde ich selbst auf Nazis nicht mit Verachtung reagieren…“, eine Haltung, die auf den ersten Blick so menschlich und tolerant anmutet, aber im Grunde nur eine Wurschtigkeit umschreibt, die aus Bequemlichkeit oder mangelnder Konfliktbereitschaft alles zulassen will, eben auch Neonazis. Oder ebenso Kinderschänder oder Terroristen?
Selbst die geheimsten Wünsche oder klammheimlichen Sympathien und Freuden sind offenbar erlaubt. Hierzu passt auch der Wunsch vieler Occupy-Anhänger nach mehr Gerechtigkeit und der Aufhebung großer materieller Ungleichheiten in der Gesellschaft. Dahinter steckt nicht nur die Sehnsucht nach theoretischer Systemveränderung. Doch bevor man die Reichen allesamt enteignet und ihnen ihre Villen, Autos und Konzerne wegnimmt, wird zunächst das geistige Eigentum angetastet. Und das geschieht, wie bei jeder Revolution, natürlich nur im Namen der Freiheit, frei nach dem Motto: „Du bist nichts, Dein Netz-Werk ist alles!“
Dirk Abe
Hallo Joachim,
in diesem Fall ist knapp daneben leider auch vorbei.
Kurz: Wir, die Piraten, wollen keinen falls das Urheberrecht abschaffen.
Lang:
http://www.piratenpartei.de/2012/04/15/vorstellung-der-urheberrechtspositionen-der-piratenpartei-und-aufklarung-von-mythen/
Grüße
Dirk
Joachim Goldberg
Hallo Dirk,
dann darf ich in diesem Zusammenhang auch auf Artikel 3, Seite 6 des Grundsatzprogramms der Piraten verweisen. Lesenswert ist auch der ausgezeichnete Beitrag von Niki Stein im Feuilleton der FAZ vom 20.4.2010
Dirk Abe
Hallo Joachim,
meinst Du diesen Abschnitt des GS-Programms?
„Freies Kopieren und freie Nutzung
Da sich die Kopierbarkeit von digital vorliegenden Werken technisch nicht sinnvoll einschränken
lässt und die #ächendeckende Durchsetzbarkeit von Verboten im privaten Lebensbereich als gescheitert betrachtet werden muss, sollten die Chancen der allgemeinen Verfügbarkeit von Werken
erkannt und genutzt werden. Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte und die Interessen der meisten Urheber entgegen anders lautender Behauptungen von bestimmten Interessengruppen nicht
negativ tangiert.
Es konnte in der Vergangenheit kein solcher Zusammenhang schlüssig belegt werden. In der Tat
existiert eine Vielzahl von innovativen Geschäftskonzepten, welche die freie Verfügbarkeit bewusst
zu ihrem Vorteil nutzen und Urheber unabhängiger von bestehenden Marktstrukturen machen können.
Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von
Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern, um die allgemeine Verfügbarkeit von
Information, Wissen und Kultur zu verbessern, denn dies stellt eine essentielle Grundvoraussetzung
für die soziale, technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dar.“
(Zitat Ende)
Hier geht es um die rechtliche Ausgestaltung der Privatkopie und der nichtkommerziellen Nutzung (Bildung und Wissenschaft).
Dabei ist es das Ziel wieder ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Urheber
und den Interessen der Gesellschaft im Allgemeinen herzustellen.
In den letzten Jahren wurde durch die diversen „Körbe“ der Urheberrechtsreformen
die Interessen der Nutzer (und auch der Urheber!) zu Gunsten der Verwerter teils erheblich beschnitten.
Es ist mit nichten unser Ziel das Urheberrecht „abzuschaffen“.
Grüße
Dirk
Joachim Goldberg
Hallo Dirk,
ich meine exakt http://wiki.piratenpartei.de/wiki/images/0/04/Grundsatzprogramm-Piratenpartei.pdf, zu finden auf dem von mir angebebenen Link
Viele Grüße
Dirk Abe
Hallo Joachim,
nochmal: Wo steht im Grundsatzprogramm, das die Piraten eine Abschaffung des Urheberrechts anstreben?
Grüße
Dirk
Joachim Goldberg
Um diese fruchtlose Diskkussion zu beenden, schlage ich vor, dass sich unsere Leser selbst ein Bild über den Artikel 3 http://wiki.piratenpartei.de/wiki/images/0/04/Grundsatzprogramm-Piratenpartei.pdf „Urheberrecht und nicht-komerzielle Vervielfältigung“ machen sollen(wobei ich schon eine Kontrolle über nicht-kommerzielle/kommerzielle Vervielfältigung als für kaum durchführbar einschätze).Ich weise vor allem auf die Absätze „Keine Beschränkung der Kopierbarkeit“, „Freies Kopieren und Freie Nutzung“ hin.