Behavioral Living Gesellschaft

Die Weinprobe – oder: am Rande der Normalverteilung

am
3. Dezember 2012

Ich bin bekennender Bordeauxwein-Liebhaber. Deshalb schaltete ich neulich spät abends den Fernseher ein, um mir im ZDF die Dokumentation „Die Weinprobe“ anzuschauen. Gleich zu Beginn der Sendung fiel mir der Wahlspruch meiner Schwiegermutter: „Von Millionären kann man‘s sparen lernen“ ein, mit dem sie ihre regelmäßigen Einkaufstouren zu Aldi & Co begründete. Auch in der TV-Sendung waren Billigweine ein Thema, und mit Schrecken musste ich, der keiner Flasche unter fünf Euro traut, erfahren, wie vorzüglich billige Weine sein können. Nicht dass ich jetzt einen besonderen Wert auf Individualität beim Weingenuss lege oder Wein als Statussymbol betrachte, aber Qualität ist mir doch wichtig. Und wenn man bedenkt, dass in besagten fünf Euro 19 Prozent Umsatzsteuer, der Preis fürs Flaschenglas, Handelsspannen etc. enthalten sind, dürfte für das, was ich genießen möchte, nicht mehr allzu viel übrig bleiben. Aber „Die Weinprobe“ vermittelte mir noch allerhand anderes Wissenswertes. So erfuhr ich, dass der Durchschnittspreis, den deutsche Weinliebhaber für eine Flasche Rebensaft bereit sind auszugeben, bei etwas mehr als 2,50 Euro liegt. Und eine Flasche Wein zum Preis von drei Euro wird häufig bereits als teuer eingestuft. Da liege ich ja voll daneben!

 

Günstige Weine im Blindversuch

Interessant wurde es, als getestet wurde, ob man günstige Weine von Aldi, Lidl, Rewe & Co auch am Geschmack erkennen könne. Und dazu lud man keinen geringeren als den britischen Weinkritiker Stuart Pigott ein, der im Blindversuch nur einen von vier günstigen Supermarkt-Weinen im Preis richtig einschätzte[1], bei den anderen hingegen um bis zu mehr als dem Dreifachen nach oben abwich. „Da sieht man‘s mal wieder, alles nur Show“, hörte ich im Geiste meinen Freund K. ausrufen, der meinen Faible für Bordeaux-Weine schon immer verspottet hatte und den ich wiederum nicht nur in Sachen Wein für ein spaßfernes Sparbrötchen halte. Nun aber fragte ich mich, ob man den guten Stuart Pigott auch im Fernsehen gezeigt hätte, wenn er alle Weine richtig eingeordnet hätte? Wohl kaum, denn das hätte dem TV-Beitrag mit der Botschaft „Gutes muss nicht teuer sein“ einen großen Teil seiner Attraktivität geraubt. Ganz abgesehen von der Schadenfreude vieler Zuschauer, die es ja lieben, wenn einem Experten wieder einmal ein Schnippchen geschlagen wird.

 

Interessant sind nur die Besten aller Talente

Aber wir interessieren uns nun halt immer für das Spektakuläre. Und wenn es um Geld und Macht geht, für die Warren Buffetts und Bill Gates dieser Welt. Dabei wird gern vergessen, dass es unter all den Reichen und Steinreichen dieser Welt am rechten äußersten Rand der Glockenkurve zur statistischen Verteilung zwangsläufig den einen Ultrareichen geben muss. Und wenn er nicht Buffett heißt, dann ist es eben jemand anderes. Aber weil sich das öffentliche Interesse auf die Besten der Erfolgreichen konzentriert[2], unterschätzt man leicht, wie wenig wahrscheinlich solche Lebensläufe sind. Wir alle kennen die Legende von Bill Gates, der sich Monate lang in einer Garage eingeschlossen haben soll, bis er dann das Tor wieder öffnete und mit Microsoft ein Unternehmen von Weltruhm gründete. Was geschah mit all den Anderen Computerfreaks, die sich ebenfalls in einen Schuppen oder eine Garage zurückgezogen haben, später aber ausgehungert und unverrichteter Dinge wieder herauskamen und bis heute talentierte, aber arme Schlucker geblieben sind? Und wer interessiert sich für all die Tellerwäscher, die nicht zum Millionär wurden und, wenn sie nicht gestorben sind, noch immer in der Küche stehen und Geschirr spülen?

Niemand.  



[1] Der fünfte Wein, der einzige Winzerwein, zum Preis von 10,50 Euro kam bei der Blindverkostung bei Pigott übrigens nicht gut weg

[2] Tatsächlich handelt es sich um eine survivorship bias im weiteren Sinne  

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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