Politik Wirtschaft

Die seltsamen mentalen Konten des Mario Draghi

am
13. Februar 2012

Obgleich der Internationale Währungsfonds am vergangenen Donnerstag festgestellt hatte, dass es unmöglich sei, ohne die Hilfe der EZB die griechischen Schulden ausreichend zu verringern, blieb deren Präsident auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung des Zentralbankrats hart. So stellte Mario Draghi unmissverständlich klar, dass die EZB  keine Verluste auf ihre griechischen Bestände akzeptieren werde. Und richtigerweise bezeichnete er diese Art, europäische Staaten monetär zu unterstützen, als rechtlich unvereinbar mit den EU-Verträgen.

Als Draghi allerdings signalisierte, dass die EZB gewillt wäre, auf die Gewinne ihres etwa 40 Milliarden Euro schweren griechischen Portfolios zu verzichten, musste ich mir doch die Augen reiben. Nicht etwa, weil sich jene bis zur Fälligkeit der Anleihen auf schätzungsweise 55 Milliarden Euro summieren würden. Ich fühlte mich außerdem an die Buchhaltung meiner Schwiegermutter erinnert, die Erspartes und die daraus resultierenden Zinsen stets unterschiedlich zu behandeln pflegte. Während sie niemals in ihrem Leben ihren Kapitalstock angerührt hätte, betrachtete sie die Zinsen indes als so etwas wie ein Taschengeld, über das sie sich selbst gestattete, frei zu verfügen. Anders ausgedrückt: Sie verbuchte das Kapital und dessen Erträge auf verschiedenen mentalen Konten. Obwohl ihr klar gewesen sein dürfte, dass Zinsen auch einen Ausgleich für den Wertverlust des Kapitals durch Inflation darstellen und streng genommen ebenfalls nicht angerührt werden dürfen.

Nichts anderes hat letztlich Mario Draghi gemacht. Auch er hat sein griechisches Anleiheportfolio und dessen Gewinne auf zwei verschiedenen mentalen Konten verbucht. Und diese Art der Buchführung ermöglichte es ihm, psychologisch gesehen, das Kapital und dessen Früchte rechtlich unterschiedlich wahrzunehmen und zu beurteilen. Tatsächlich gehören aber auch in diesem Falle beide zusammen: Die Gewinne sind als Ausgleich für die mögliche Entwertung des Kapitalstocks zu sehen. Auf sie zu verzichten hieße also doch, einen Wertverlust des Portfolios hinzunehmen. Selbst wenn diese Profite gesetzeskonform nach einem Schlüssel an die Euroland-Zentralbanken verteilt würden – mit dem Ziel, Griechenland möglicherweise auf diesem Umweg aus der Patsche zu helfen.  

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2 Kommentare
  1. Antworten

    Steffen

    23. Mai 2012

    Ich fände es erfreulich, wenn sie mal die in Derivaten und sonstigen Anlageformen zirkulierenden Summen ins Verhältnis mit 1. den Staatsschulden und 2. den Summen der produzierenden Wirtschaft setzen würden.
    Dass angesichts dieser Summen dann kein Staat mehr jemals seine Schulden bezahlen kann, wird dann deutlich, kurz: ungedecktes FIAT-Geld erzeugt Krisen; die letzten großen „Entschuldungs“-Aktionen mündeten in den beiden Weltkriegen (und warum wohl brechen die NATO-Staaten Konflikt nach Konflikt auf?).
    Aber solche Gedanken könnten natürlich potentielle Kunden verschrecken, die sie mit ihrer Homepage anlocken wollen…

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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