Behavioral Living Gesellschaft

Laborversuch mit Lottoglück

am
10. Februar 2012

Vor ein paar Tagen las ich in der New York Times eine Geschichte darüber, wie ein ganzes spanisches Dorf namens Sodeto, etwa drei Autostunden nordwestlich von Barcelona gelegen, bei der nationalen Weihnachtslotterie richtig abgeräumt hatte: Der Gewinn von mehr als 100 Millionen Euro verteilte sich auf 250 Einwohner, die meisten von ihnen Bauern oder arbeitslose Handwerker – 70 Haushalte, die bis dahin nicht nur unter der schlechten konjunkturellen Situation des Landes, sondern auch noch unter einer extremen Dürre gelitten hatten.

Nun ist es nicht so, dass alle Einwohner von Sodeto gleichviel von den 100 Millionen Euro abbekommen hätten, also 400.000 Euro für jeden von ihnen. Bis auf einen Griechen, den es aus Liebe zu einer Frau in dieses Nest verschlagen hatte und den die Losverkäuferin der Hausfrauenorganisation offenbar übergangen hatte, erhielt allerdings jeder Dorfbewohner mindestens 100.000 Euro, andere jedoch wiederum bekamen ein Vielfaches davon ausgezahlt. Und wenn man den Journalisten Glauben schenken darf, die sich sofort nach Bekanntwerden dieses Geldregens und -segens nach Sodeto begaben, hatte es bis dahin in der Dorfgemeinschaft weder Neid, Missgunst noch sinnlose Prasserei gegeben. Und das, obwohl bereits jede Menge Glücksritter und Autoverkäufer, angezogen vom Geld wie die Motten vom Licht, dieses gottverlassene Dorf aufgesucht hatten, für das sich normalerweise kein Mensch interessiert hätte.

Mag sein, dass es auch an den vielen alten Leuten unter den Dorfbewohnern lag, dass man sich bislang große Anschaffungen oder gar sinnlosen Konsum versagte. Vielleicht machte aber auch die Angst, das viele Geld könne die Menschen und die ganze Dorfgemeinschaft ins Unglück stürzen, die plötzlich zu Reichtum Gelangten vorsichtig und zurückhaltend. Denn bislang saß man im gleichen Boot, hielt zusammen und pflegte eine Fairness, die so weit ging, dass eine Losverkäuferin den Gewinn einer Freundin nicht für sich behielt, obgleich diese bis zur Ziehung des Hauptgewinns ihr Ticket noch nicht einmal bezahlt hatte.

Ich wünsche den Bürgern von Sodeto von Herzen, dass die Stimmung im Dorf so bleiben wird, bin aber trotzdem pessimistisch. Zum einen, weil sich mehrere Arme und Mittellose im Dorf nur ein Viertellos leisten konnten und somit natürlich auch nur einen relativ kleinen Gewinn bekamen. Geld, das nach der Bezahlung aller Kredite und der längst notwendig gewordenen Hausrenovierung schnell aufgebraucht sein könnte. Und wenn dann der Erste der Großgewinner nach Verstreichen einer gewissen Schamfrist doch einen nagelneuen Jaguar, einen Porsche oder Maserati vor seinem Haus parkt,  dürften die anderen Neureichen nicht lange zögern und nachziehen[1]. Anders ausgedrückt: In diesem Augenblick beginnt das Wettrüsten um so genannte Positionsgüter[2]. Verbunden mit Neid und Missgunst derer, die nicht mithalten können. Da wird das neue Statussymbol des Nachbarn schnell wie ein eigener Verlust wahrgenommen[3]. Am Ende besteht also die große Gefahr, dass sich Zufriedenheit und Harmonie im Dorf, trotz des Geldsegens, über den sich heute noch alle freuen mögen, dramatisch verringern werden.

Die neugierigen Journalisten dürften bis dahin längst schon wieder abgereist sein. Aber es wäre zu wünschen, dass sich vielleicht zumindest Psycholog(inn)en in regelmäßigen Abständen in dieses Dorf aufmachen, um die Bewohner nach ihrem Wohlergehen zu fragen. Die Glücksforschung ist doch momentan groß in Mode. In Sodeto kann man zurzeit fast so etwas wie perfekte Laborbedingungen vorfinden.



[1] Um es  mit den Worten John Stuart Mills auszudrücken: “Men do not desire merely to be rich, but to be richer than other men“

[2] Das sind messbare Güter, mithin Statussymbole, die den Zweck haben, gegenüber denjenigen mit denen man sich sozial vergleichen kann, eine bessere „Position“ zu erreichen.

[3] vgl. auch Luttmer, Erzo F. P. (2005): Neighbors as Negatives: Relative Earnings and Well-Being, The Quarterly Journal of Economics

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2 Kommentare
  1. Antworten

    Blog - start-trading.de

    10. Februar 2012

    Ein sehr schöner Artikel, der zeigt dass der Mensch sobald er die Möglichkeiten dazu hat, sein Glück über materielle Dinge definiert bzw. definieren wird.

    Das Gras auf dem Grundstück des Nachbarn ist grüner, das Gehalt ist höher und der Sportwagen eben schneller.

    Das Geld nicht glücklich macht, wurde in diesem Artikel auch schon mal thematisiert: http://www.start-trading.de/blog/2011/12/02/markt-flutung-macht-geld-gluecklich/

    Ich schließe mich dem Wunsch aus dem Artikel an, daß die Bürger dieses kleinen Dorfes sich nicht von dem vielen Geld blenden lassen. Drücken wir ganz fest die Daumen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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