Die Hälfte tut’s auch
Ich habe einen Bekannten, dem es trotz aller widrigen ökonomischen Umstände recht gut geht. Seine Geschäfte laufen, vorsichtig formuliert, blendend. Sein soziales Engagement ist hingegen schwächer ausgeprägt. So zahlt er etwa seit Jahren schon keine Kirchensteuer mehr.Umso erstaunlicher war es, dass er vom Jahrhunderthochwasser in Pakistan derart bestürzt war, dass er sich spontan zu einer Spende entschloss. Auf einen Überweisungsträger schrieb er die stattliche Summe von sage und schreibe 2.000 Euro, schob das Papier in ein Kuvert und verschloss dieses sorgfältig. Der Briefumschlag landete, um zur Bank gebracht zu werden, in einem seiner Jacketts.
Kurze Zeit später, hatte der Bekannte unerwartet eine größere Autoreparatur in Höhe von 800 Euro zu berappen, worüber er sich richtig ärgerte. Missmutig griff er in seine Jacke und fischte statt seiner Brieftasche besagten Umschlag aus der Seitentasche. „Eigentlich sind 2.000 Euro doch viel zu viel, die Hälfte tut’s doch auch“ sagte er sich und füllte flugs einen neuen Überweisungsträger aus. Mit den auf diese Weise „frei“ gewordenen 1.000 Euro bezahlte er die Rechnung – vom Rest ging er mit seiner Frau schön Essen.
Also ein typischer Fall von mentaler Kontoführung. Womit nichts anderes gemeint ist, als dass Menschen für jede Entscheidung, die sie treffen, oft unbewusst ein eigenes Konto im Kopf führen. Da fallen mal Gewinne, mal Verluste an. Und weil letztere bekanntlich schwerer auf der Seele lasten als Gewinne in gleicher Höhe, räumt man sich bei der Verwaltung dieser Konten größtmögliche Gestaltungsfreiheit ein. So erging es auch meinem Bekannten, der sowohl die geplante Spende als auch die Reparatur als zwei Verluste begriff.
Zum Glück haben die Flutopfer in Pakistan nichts von der heimlichen Umbuchung vom Spenden- aufs Reparaturkonto mitbekommen. Für den Gönner blieb am Ende indes das gute Gefühl, nur einen Verlust erlitten zu haben. Mehr noch, war nebenbei noch ein Abendessen abgefallen, also auch noch ein zusätzlicher Gewinn.