Behavioral Living Gesellschaft

Die Börse und das Böse

am
1. März 2013

Dass vom Verbotenen, Sündigen ein unwiderstehlicher Reiz ausgeht, ist spätestens seit Adam und Eva, also seit es überhaupt Menschen gibt, bestens bekannt. Ganze Industrien leben davon, aber auch viele Romane, Filme und Kunstwerke wären ohne die Lust am Grenzübertritt, am Abbiegen vom rechten Pfad der Tugend nicht denkbar. Immer brav sein ist einfach langweilig. Aber weil auch das Böse nicht einfach nur böse sein darf, sondern systematisch erfasst und kategorisiert werden muss, hat sich bereits im vierten Jahrhundert ein gewisser Mönch namens Evagrius Ponticus daran gemacht, ein Sündenregister zu erstellen, das dann unter Papst Gregor I. (etwa 540 – 604) erstmals offiziell katalogisiert worden ist. Demzufolge gibt es sieben menschliche Schwächen und Laster: avaritia (Gier), luxuria (Genusssucht), ira (Zorn), gula (Völlerei), invidia (Neid), acedia (Ignoranz und Faulheit)  und superbia (Stolz). Genau genommen bezeichnen diese so genannten Todsünden schlechte Eigenschaften der Menschen, die zu schweren Verfehlungen und der christlichen Lehre nach letztlich zur ewigen Verdammnis in der Hölle führen können.

Auch an den Finanzmärkten gibt es die Unterscheidung zwischen richtigem und falschem Handeln. Und obwohl die Börse weit weniger eine moralische Instanz zu sein beansprucht als die Kirche, spricht man hier ebenfalls gelegentlich von den Todsünden der Geldanlage[1]. Aber auch von den Kardinaltugenden der Spekulanten (Kostolany), die da wären: Fantasie, Geduld, Weitblick und Erfahrung. 2011 legte ein Würzburger Emissionshaus sogar einen Fonds auf, der bei seinen Kauf- und Verkaufsentscheidungen die sieben Todsünden mit ins Kalkül einbezieht.

Auch wir von WGZ Cognitrend TV finden das Thema Todsünden spannend und möchten uns daher in einem dreiteiligen Zyklus intensiver damit beschäftigen. Vor allem wird uns dabei interessieren, wie sich die althergebrachten Kategorien von Gut und Böse auf Basis der Behavioral Finance in ein neues, unserer Zeit und unserem Moralcodex entsprechendes Sündenregister übersetzen lassen. Welche Schwächen, Irrtümer und Verfehlungen treten systematisch in den Märkten auf und führen für die Anleger und Investoren mit derselben Regelmäßigkeit zu einer unbefriedigenden Performance? Ja, es gibt auch hier so etwas wie echte Todsünden, jene nämlich, die den Totalverlust bei einem Engagement verursachen können, die wahre Hölle für jeden Börsianer. Aber wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, war zumindest Hölderlin überzeugt. Deshalb sollen auch die sieben Tugenden bei dieser Betrachtung nicht zu kurz kommen, allerdings sei schon vorab darauf hingewiesen, dass moralisch einwandfreies Verhalten nicht zwangsläufig zu optimalen Anlageergebnissen führen muss.

Auf jeden Fall passt dieses Thema hervorragend in die Karzeit. Und so wird sich der erste Web-TV Beitrag (hier) mit den drei Phänomenen: Gier, Maßlosigkeit und Genussucht befassen.



 



[1] Vgl. etwa FAZ vom 28.11.2005 Die sieben Todsünden bei Anlageentscheidungen

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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