Behavioral Living

Der Fluch des Gewinners

am
17. Dezember 2010

Schon wieder hat in unserer Nachbarschaft eine neue Spielhalle aufgemacht und ist jetzt 24 Stunden  am Tag, sieben Tage die Woche geöffnet. Der Chef des Etablissements fährt nicht nur dann und wann mit einem tollen Schlitten vor, sondern ist auch – im Gegensatz zu seiner Kundschaft – sehr vornehm gekleidet. Sein Geschäfte laufen glänzend, so der erste Eindruck. Wer will da noch behaupten, in Deutschland unternähme jemand etwas gegen die Spielsucht der Menschen. Plötzlich erinnere ich mich an alte Zeiten, als ich als Heranwachsender manchmal beim Bier in meiner Stammkneipe Leuten am Geldspielautomaten bewundernd zusah, die anscheinend in der Lage waren, mit der Stopptaste des Automaten die drei Walzen der Mechanik so genau zum Stehen zu bringen, dass die für den Gewinn erforderliche Kombination tatsächlich im Sichtfenster erschien. Häufiger jedenfalls. Heute weiß ich natürlich, dass viele dieser Automatenspieler ihre Fähigkeiten nicht nur systematisch überschätzt hatten (also overconfident waren), sondern auch der Illusion erlegen waren, sie könnten die Maschine tatsächlich beherrschen. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang gerne von Kontrollillusion. Damals habe ich mir übrigens nie die Frage gestellt, warum diese Spieler nie steinreich geworden sind.

Obgleich ich von Automatenspielen nur wenig Ahnung habe, ist mir klar, dass die Mechanik dieser Geräte von damals nicht mit der heutigen Elektronik vergleichbar ist. Trotzdem vertrauen noch viele Spieler auf ihr vermeintliches Geschick, wenn sie der akustischen Begleitmusik, diesem irreführenden „Da da tüta tüta da“ zur blinkenden Risikoleiter folgen, bei der es um „Doppelt oder Nichts“ geht. Dabei sehen die Auszahlungspläne solcher Automaten nicht vor, dass die sie mit Hunderten von Münzen fütternden Spieler langfristig als Gewinner aus der Halle gehen. Was jedem rational denkenden Mensch eigentlich klar sein müsste, wenn er liest, dass die Auszahlungsquote von Spielautomaten zwischen 96 und 98 % liegt.

Was also lässt die Menschen (von denen es so viele gibt, dass eine Industrie mit Milliarden Umsätzen davon leben kann1) Stunden lang an Automaten verharren, nur um sich die Zeit mit systematischen Verlusten zu vertreiben? Automaten, für die man weder eine besondere Intelligenz noch Geschicklichkeit benötigt. Natürlich würden Profispieler sofort einwenden, dass man ja immerhin mit kleinem Geld (0,20 €) die Chance auf eine so genannte Superserie hat (so bezeichnet man das Ziel, auf das ein Automatenspieler hinarbeitet, weil dann für eine bestimmte Zahl von Spielen Höchstgewinne erzielbar sind), und dass man bei einer solchen Superserie mit etwas Glück einige hundert Euro gewinnen könne. Da diese Gewinne mit einer sehr niedrigen Wahrscheinlichkeit auftreten, werden sie diese – wie dies bei kleinen Wahrscheinlichkeiten üblich ist – natürlich vergrößert wahrnehmen. Aber dies dürfte nicht der einzige Grund sein, warum Spieler an den Automaten festkleben. Zumal doch die verhaltensorientierten Ökonomen immer wieder darauf hinweisen, dass Verluste etwa zweieinhalb Mal so stark wahrgenommen werden wie Gewinne in gleicher Höhe.

Vielmehr ist es die Art und Weise, wie Gewinne und Verluste ausgezahlt bzw. belastet werden. Letztere bestehen in gleichbleibend hohen Einsätzen pro Spiel, an die man sich schnell gewöhnt, weil sie, solange man spielen möchte, regelmäßig und sicher sind. Ganz anders jedoch verhält es sich mit den Gewinnen. Sie sind unsicher und auch von unterschiedlicher Höhe, bleiben also unberechenbar.   Gerade deswegen sorgen sie länger für anhaltendes Wohlbefinden. Genauso wie man sich über ein unerwartetes Geschenk wesentlich länger und intensiver freuen kann als über eines, mit dem man schon lange fest gerechnet hatte2. Und genau für diese kleine Euphorie sind viele Spieler anscheinend  bereit, eine Menge Geld zu bezahlen. So gesehen sind Gewinne ein Fluch


1 Informationsblatt „Spielerschutz“, Verband der Deutschen Automatenindustrie e.V. (VDAI)

2 [i] Hsee, Christopher K., (2008): Two Recommendations on the Pursuit of Happiness, Journal of Legal Studies vol. 37

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv