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20. Dezember 2010

Auf dem Spiel stand eine wunderbare Bordeaux-Weinverkostung nebst einem fantastischen mehrgängigen Menü in Bad Neuenahr. Auf beides hatte ich mich schon lange gefreut und auch schon Monate zuvor den Preis dafür bezahlt. Genauer gesagt: Ich hatte ein Commitment von mehreren hundert Euro begründet. Und nachdem sich abzeichnete, dass ich mich bislang weder bei meinen Kindern noch bei den Kollegen mit einem Schnupfen angesteckt hatte, waren die Nase frei und die Sinne offen für einen unbeschwerten Genuss, so dass einem schönen Abend eigentlich nichts mehr im Wege stand: Endlich war Donnerstag.

Einen großen Teil meines Weges wollte ich, so hatte ich es geplant, mit dem Zug und einen kleineren Abschnitt der Tour mit dem Taxi zurücklegen. Bereits am frühen Morgen konnte man allerdings in Radio und Fernsehen live verfolgen, wie eine Schneewalze auf Deutschland zurollte – eine Unwetterwarnung jagte die andere, von Eisregen und 30 Zentimeter Neuschnee war die Rede. Jeder vernünftige Mensch hätte sich gesagt, er bliebe bei diesem Wetter besser zu Hause und würde, wenn es gar nicht anders ginge, zumindest sein Auto stehen lassen. Ich aber befand mich in einer anderen Wahrnehmungswelt, weil ich im Gegensatz zu vernünftigen Zeitgenossen leider mit Commitment belastet war. Zu Hause zu bleiben hätte nicht nur bedeutet, auf einen wunderbaren Abend zu verzichten, sondern auch noch einen materiellen Verlust von eben diesen mehreren hundert Euro zu realisieren und mein Zugticket zurückgeben zu müssen.

Während des Zeitpunkts meiner Abreise immer näher rückte, zermarterte ich mir stattdessen das Hirn, ob es angesichts der Wetterprognosen nicht doch sinnvoller wäre, die Reise abzusagen. Dann aber beruhigte ich mich, denn meine „Erfahrung“ sagte mir, wie oft schon in der Vergangenheit sich derartige Unwetterwarnungen als vollkommen übertrieben herausgestellt hatten. Am Ende würde womöglich alles gar nicht so schlimm kommen und ich, mit meiner übervorsichtigen Verhaltensweise, hätte unnötig Geld aus dem Fenster geworfen. Erst nach Stunden des Grübelns und Nachdenkens fiel mir immerhin ein, dass ich eigentlich bis zum Zielort mit Zügen der Deutschen Bahn AG fahren und so auf das Taxi verzichten könnte. Selbst wenn damit natürlich eine viel längere Fahrzeit verbunden wäre. Nach einer weiteren halben Stunde des Grübelns rang ich mich dann endlich zu dieser Option durch.

Erschrocken war ich allerdings nachträglich über mich selbst. Wie schnell hatte ich mir wegen ein paar hundert Euro eine schöne, neue Welt zurechtgelegt und wie leicht wäre ich beinahe auch noch unnötig hohe Gefahren eingegangen. Kurzum, das Ganze erinnerte mich plötzlich an Situationen, wie ich sie im Handelssaal zigfach erleben konnte. Und ich hatte mich genauso verhalten wie ein Händler, der die wohlfeile Warnung von außen, er solle sich vor jedem Engagement unbedingt einen Stop-Loss setzen, bedenkenlos in den Wind schlägt. Oder eben in den Schneesturm, um im Bild zu bleiben. Aber wer kann schon, wenn ein satter Gewinn oder ein Chateau Montrose 1906 winken, die nötige Disziplin aufbringen, sich eine nüchterne Verlustmarke gegen sein Begehren zu setzen?

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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