am
22. April 2013

Jedes Mal wenn ich zu einem Besuch in meiner Vaterstadt Freiburg weile und Abstand zu den Finanzmärkten gewinnen möchte, unternehme ich einen Ausflug in den Schwarzwald. Wenn ich dann so durch den Wald schlendere, kommt mir immer wieder das Märchen von Wilhelm Hauff „Das kalte Herz“ aus meiner Kindheit in den Sinn. Und während ich an einem Bach, der in der Frühjahrssonne so vor sich hin plätschert, vorbeiwandere, kehrt mit einem Male die Erinnerung an Peter Munk, den Kohlenbrenner zurück. Weil er als Sonntagskind geboren worden war, hatte er beim „Schatzhauser“, einem wundersamen Glasmännchen, drei Wünsche frei. Wer das Märchen kennt, weiß, welche törichte Wahl Peter traf. Als erstes wünschte er sich, besser tanzen zu können als der Tanzbodenkönig und als zweites, immer genauso viel Geld in der Tasche zu haben wie der reiche Ezechiel. Sowie andere Insignien des Wohlstands, etwa eine Glashütte samt einem Pferdewägelchen.

Tatsächlich gingen Peters Wünsche alle in Erfüllung. Der Kohlenmunk Peter tanzte schneller und sprang höher als der Tanzbodenkönig, so dass bald jedes fesche junge Mädchen ihm zu Füßen lag. Aber die 2000 Gulden Startkapital, die er von seinem Gönner erhielt, waren bald sinnlos zum Fenster herausgeworfen. Denn das Wirtshaus war zu Peters Lieblingsort geworden. Dort verbrachte der reiche Ezechiel fast jeden Abend und wartete stets schon auf den Peter zum Würfelspiel. Vor ihm auf dem Tisch waren sie aufgetürmt, die Taler des Spielmeisters, und zur Sicherheit griff Peter noch einmal tief in seine Tasche: Es klimperte darinnen, wie versprochen. Dann ging es Schlag auf Schlag, immer wilder wurde das Spiel, bis der reiche Ezechiel all sein Geld verloren hatte und den Peter um Kredit bat.

 

Den Reichen an die Wand gespielt

Wie großartig muss sich Peter Munk gefühlt haben, hatte er doch den Reichen an die Wand gespielt, dorthin, wo er ihn immer hatte haben wollen. Und mit gönnerhafter Miene, vielleicht mit dem Hintergedanken, dem Ezechiel endlich den Garaus zu machen, griff er in seine Tasche. Nichts. Und mit einem Male dämmerte es ihm: Sein Wunsch, genau so viel Geld wie der reiche Ezechiel in der Tasche zu haben, war in Erfüllung gegangen.

Eigentlich geht das Märchen noch viel weiter. Es handelt von der Wichtigkeit der Vernunft im Leben und einer wenn auch frühromantischen Charakterisierung des kalten Herzens, wie es später auch dem Homo oeconomicus zugeschrieben wurde. Denn der Kohlenmunk Peter lässt sich in seiner Verzweiflung auch noch mit dem bösen Holländer Michel ein, der ihm an die Stelle seines pulsierenden Herzens einen Stein einpflanzt. Natürlich für unendlich viel Geld. Aber Sie ahnen es schon: Geld ist zumindest in diesem Märchen nicht alles und macht schon gar nicht glücklich. Den hartherzigen Peter Munk, dessen neue Brutalität und Härte nicht einmal vor seiner Frau halt macht, will niemand mehr zum Freunde haben.

Aber das Märchen handelt auch vom sozialen Vergleich, denn der reiche Ezechiel mag unser Nachbar, unser Kollege womöglich sogar unser Freund sein, mit dem wir uns so gerne messen. Genauso viele Euro wie der andere zu haben ist ein so drängendes Motiv, dass man schnell übersieht, dass der uns nahestehende Mensch nicht immer nur ein Gewinner sein muss, sondern auch verlieren kann. Die Geschichte vom Kohlenmunk Peter zeigt uns also heute noch, wie wichtig es für viele ist, anderen nachzueifern oder in Hinblick auf Status und Wohlstand mit ihnen gleichzuziehen. Wer sich jedoch besser als der reiche Ezechiel stellen möchte, darf nicht mit ihm spielen und schon gar nicht erst versuchen, ihn zu kopieren.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv