Commitment-Poker – eine Wiederholung
Vor fünf Jahren hatten wir alle noch auf ein griechisches Wunder gehofft. Damals hatte die EU-Kommission gerade neue Pläne entwickelt, wie man die Griechen an die Hand nehmen und durch einen strikten Sparkurs führen könne. Dazu sollte auch gehören, die Verantwortlichen in der Regierung regelmäßig zum Rapport zu bitten. Schon damals fragte ich mich, womit man einem Beinahe-Bankrotteur noch drohen könnte. Mit Geldstrafen etwa, wie sie seinerzeit im Gespräch waren? Auch kann ich mich noch gut daran erinnern, wie Griechenland der EU-Kommission versprach, seine Neuverschuldung bis zum Jahre 2012 unter drei Prozent des BIP zu drücken – damals hatte dieses Defizit gerade die 13-Prozent-Marke erreicht. Das war im Jahr 2010. Und jeder wusste damals: Es kann und es wird nicht klappen.
Dennoch wird weiter Commitment-Poker gespielt, weil die Einsätze aller Beteiligten viel zu hoch sind, als dass einer passen könnte. Das Fatale an solchen Commitments ist, dass die Bindung an frühere Entscheidungen mit steigenden Verlusten immer größer wird. Wie bei einem Aktieninvestor, der den Einstandspreis seines schal gewordenen Engagements durch Hinzukäufe in einen fallenden Markt absenken möchte. Natürlich mit der Absicht, eines Tages, wenn sich der Markt erholt hat, mit plus-minus Null aus seiner Fehlinvestition wieder herauszukommen. In der großen Mehrheit der Fälle klappt dies auch. Aber wenn es nicht funktioniert, bleibt am Ende nur die Kapitulation, die Realisation aller Buchverluste – dazwischen sind die Verlierer psychisch gefesselt und so häufig zur Untätigkeit gezwungen. Mit anderen Worten: Neue Entscheidungen werden immer nur im Lichte dieser Verluste gefällt.
Alle in der Falle
In dieser Commitment-Falle befinden sich die Gläubiger Griechenlands und deshalb schieben sie den Termin der Einsicht vor sich her, solange sie können. Zu groß ist die Verlustaversion, die tiefe Abneigung, die Notbremse zu ziehen. Lieber noch ein paar Milliarden draufsatteln, darauf komme es jetzt auch nicht mehr an, hört man Entscheider in solch einer Lage oft sagen.
Aber auch die griechische Regierung sitzt in der Falle, wobei man wissen muss, dass sich das Commitment, die Bindung an eine Entscheidung, nicht nur durch Verluste erhöht. Einen wesentlichen Bestandteil des Commitments stellt der Grad der Verantwortung der Entscheider dar. Je größer die Verantwortung, desto stärker die Bindung an die Entscheidung, die im Falle eines Spitzenpolitikers durch die starke Wahrnehmung in der Öffentlichkeit besonders hoch ist. Deswegen mag der griechische Premierminister Alexis Tsipras, als er sich für das am Wochenende stattfindende Referendum entschied, nicht nur vom demokratischen Gedanken geleitet worden sein. Denn mit dem Referendum wird die Verantwortung an den Wähler zurückgegeben und so auf viele Köpfe verteilt. Und Tsipras‘ Commitment, die Bindung an das, was er bislang getan oder unterlassen hat, wird dadurch deutlich gesenkt. Ein Referendum übrigens, bei dem sich viele Bürger bei der Frage nach ihrer Bereitschaft für weitere Opfer eher für ein einfaches Nein als für ein Ja mit vielschichtigen Folgen (Komplexitätsaversion) entscheiden dürften.
Das Referendum – eine Frage nach der Opferbereitschaft der Bevölkerung, die den Deutschen nie gestellt wurde.