Behavioral Living

Auf den Hund gekommen

am
23. September 2013

Die ganze Familie saß am reich gedeckten Frühstückstisch in der Küche. Und so dauerte es nicht lange, bis sich auch unser Mops zu uns gesellte und unter dem Tisch laut grunzend nach etwas Essbaren sichte. „Muss das Tier denn so laut sein?“ fragte ich leicht genervt. „Ja, er hofft eben darauf, dass etwas vom Tisch herunterfällt“, erwiderte meine Tochter. In der Tat standen die Chancen für ihn an diesem Sonntagmorgen gut. Denn es gab Spiegeleier, Lachs, Käse und frische Brötchen. „Falls sich eines Tages einmal weniger oben auf dem Tisch befinden wird, dürfte das Tier darunter womöglich Hunger leiden“, sinnierte ich.

Doch wollte ich die Familie nicht mit der „Trickle-Down“-Theorie langweilen, derzufolge eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik angeblich nicht nur jenen hilft, die gut im Markt platziert sind, sondern vielmehr auch den Ärmsten der Armen. Auch ersparte ich den Meinen einen Ausflug in die jüngere Wirtschaftsgeschichte der USA, denn es war der frühere US-Präsident Ronald Reagan gewesen, der mit dieser Theorie nicht nur die Senkung der Grenzsteuersätze, sondern auch die Deregulierung gerechtfertigt hatte. Und unter den Folgen dieser Politik haben wir noch heute zu leiden. Denn die von Reagan betriebene Deregulierung hatte letztlich zur Krise der vergangenen Jahre beigetragen.

Stattdessen zitierte ich die Bienenfabel von Bernard Mandeville aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts, über die ich an dieser Stelle (hier und hier) bereits geschrieben habe. Darin ist von der Lasterhaftigkeit und einem grenzenlosen Habenwollen der Reichen die Rede. Der Mandevill‘sche Bienenstaat ist grundsätzlich in zwei Klassen gespalten: Da gibt es einerseits ganz viele fleißig arbeitende, von Entbehrung gezeichnete arme Menschen und andererseits einige egoistische Reiche, die ihren Lastern ungehemmt nachgehen. Natürlich profitieren die Armen auch von dem, was beim exzessiven Lebensstil der Reichen übrigbleibt, aber die Masse fühlt sich betrogen. Es kommt zum Aufstand, so dass das Staatsgebilde eines Tages zerbricht. Fortan verhielten sich die Reichen tugendhaft, ein jeder erfüllte seine Pflichten und lebte sparsam. Aber von den Tischen der Reichen fielen keine überflüssigen Brosamen mehr für die Armen herunter. Denn dort oben wurde nur aufgetragen, was zur Sättigung des größten Hungers nötig war.

Meine 15jährige Tochter schien langsam zu begreifen: „Der arme Mops“, jammerte sie. Ich wollte sie beruhigen, indem ich  versprach, dafür zu sorgen, dass der Tisch bei uns weiterhin gut gedeckt bleibe. Aber meine Tochter ließ nicht locker und kam noch einmal auf Mandeville zurück: „Warum konnten denn nicht alle oben an den mit Speisen überhäuften Tischen sitzen, warum durften dort nur die Reichen Platz nehmen?“, fragte sie. Und ich stellte mir vor, wie in Zukunft unser Mops zu jeder Mahlzeit gierig schleckend und schmatzend neben mir auf der Küchenbank Platz nehmen würde.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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