Behavioral Public Choice Gesellschaft Politik

Von der einfachen Information zur Ideologie

am
8. Juli 2016

Kommunikation

Traf unlängst einen guten Bekannten, der sich nicht nur gelegentlich, sondern sogar ziemlich oft Gedanken über den ökonomischen und politischen Zustand Deutschlands und der EU macht. Man könnte ihn ohne weiteres als einen gebildeten und neuerdings permanent „besorgten“ Mitbürger bezeichnen. Jemand aus der gehobenen Mittelschicht. Und jemand, der von sich behauptet, in politischen Angelegenheiten durchaus rational zu entscheiden und, was für ihn noch viel wichtiger ist: Er hält sich für einen unbefangenen, neutralen Beobachter.

Wer sich mit den Erkenntnissen der Verhaltensökonomik befasst, weiß, dass die meisten Menschen keine neutralen Analysten sind. Das gilt nicht nur für die Finanzmärkte, sondern auch für die Politik. So werden etwa bei wichtigen politischen Entscheidungen, wie etwa unlängst dem Brexit-Referendum (vgl. HIER), meist nicht Kosten oder Nutzen einer Entscheidung gegeneinander abgewogen. Vielmehr sind es am Ende die einfachen Parolen, Vorschläge oder Ideen, die den Ausschlag geben, wofür sich ein Wähler entscheidet. Interessanterweise handelt es sich dabei gleichzeitig um die Zutaten, aus denen Ideologien zusammengebraut werden.

 

Leicht verfügbare Information

Ideologien existieren und sind deswegen so einflussreich, weil sie einfach gestrickt, aber letztlich aus Informationseinheiten bestehen, die zum einen mental leicht verdaubar sind und zum anderen Menschen emotional ansprechen. Informationen, die sich schnell einprägen und einfach zu erinnern sind und sich deshalb auch schnell übermitteln lassen. Mit anderen Worten: Ideologien müssen leicht verfügbar sein, damit sie sich ausbreiten können. Aber es ist eben auch diese leichte Verfügbarkeit, die ganz schnell zu Irrtümern und einer fehlerhaften Bewertung der tatsächlichen Situation führen. Mit der Folge, dass Ideologien häufig herzlich wenig mit der Realität zu tun haben.[1]

 

Familienideologien wirken lange

Dennoch beeinflussen Ideologien unser politisches Entscheidungsverhalten. Und zwar nicht nur das ihrer glühenden Verfechter bis hin zu unbelehrbaren Extremisten. Nein, eigentlich betrifft es jeden von uns. Selbst Menschen, die sich für weltoffen halten, richten sich nach bestimmten vorgefassten Ideen und Meinungen, deren Ursprung sich mitunter bis in die Kindheit zurückverfolgen lässt. So können dazu bestimmte Überzeugungen gehören, mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat –weil sie zu mehr Wohlstand, zu einer Verbesserung in der sozialen Rangfolge geführt haben oder mit anderen positiven Erfahrungen und Belohnungen verbunden waren. Es lassen sich manchmal sogar regelrechte Familienideologien feststellen, die unbewusst viele Entscheidungen im späteren Leben beeinflussen können.

Aufgrund der Erkenntnisse des Sozialpsychologen Leon Festinger[2]  und seiner Theorie zur Kognitiven Dissonanz müssen wir davon ausgehen, dass Wähler bis hin zu politischen Entscheidern selektiv Informationen suchen und auch weitergeben. Informationen, die bevorzugt wahrgenommen werden, wenn sie ursprüngliche Überzeugungen oder gar Glaubensrichtungen bestätigen. Was nicht zum Weltbild passt, wird hingegen heruntergespielt, wenn nicht ignoriert. Und trotzdem haben die meisten Menschen das Gefühl – und dies gilt vor allen Dingen für gebildete Personen und gut unterrichtete Experten –, rational und unbefangen zu urteilen.

 

Ideologische Voreingenommenheit

Anhänger der verhaltensorientierten Wissenschaftsdisziplin „Behavioral Public Choice“[3], die sich mit dem irrationalen Verhalten politischer Akteure und Wähler beschäftigt und dessen Folgen für Politik und Gesellschaft untersucht, sprechen daher von einer so genannten Ideological Bias, einer ideologischen Voreingenommenheit.

Diese Voreingenommenheit führt dazu, dass neue, oft auch verwirrende und widersprüchliche Informationen an die eigenen Wertvorstellungen, an Schemata angepasst und auf diesem Wege gefiltert werden. Kein Wunder, dass sich mit der Zeit eine sich selbst verstärkende Überzeugung ausbildet, die durch weitere selektiv wahrgenommene, kongruent gemachte Informationen solange bestätigt wird, bis daraus ein unerschütterliches Weltbild geworden ist. Dummerweise sind es demzufolge vor allem die gut informierten Personen, die Gefahr laufen, ideologisch besonders voreingenommen zu sein[4].

Um auf nun auf meinen Bekannten zurück zu kommen: Es spricht einiges dafür, dass er zwar besser als viele andere informiert sein mag. Aber mittlerweile frage ich mich besorgt, ob seine permanente Besorgnis vielleicht gar nicht rational begründet, sondern vielmehr ebenfalls das Ergebnis einer ideologischen Verkrustung seines Denkens ist und ob nicht auch er, dieser kluge Kopf, mittlerweile wie ein Hamster im Rad ewige Kreise im hermeneutischen Zirkel dreht und von der Realität nur noch sieht, was er sowieso schon wusste und zu sehen erwartet hatte.

 

 

[1] Vgl. David Hirshleifer (2008): Psychological Bias as a Driver of Financial Regulation, European Financial Management, Vol 14. Iss. 5 (November 2008) pp. 856-874

[2] Leon Festinger (1957): A Theory of Cognitive Dissonance, Stanford, Stanford University Press

[3] Vgl. etwa: Gary J. Lucas & Slaviša Tasić (2015): Behavioral Public Choice and the Law, West Virginia Law Review 199 (2015)

[4] Charles S. Taber  Milton Lodge (2006): Motivated Scepticism in the Evaluation of Political Beliefs, American Journal of Political Science vol. 50, No. 3 (July 2006)

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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