Gesellschaft Investmententscheidungen Märkte

Der Besserwisser-Konjunktiv

am
22. Mai 2012

„Peinlich für Frankfurt“, „was für eine „Blamage“ oder „eine völlig überzogene Aktion der Polizei“ – so oder so ähnlich lauteten viele Reaktionen auf die Blockupy-Tage in Deutschlands Finanzmetropole. Nicht nur aus der politischen linken Szene, sondern auch von Menschen, die man dem bürgerlichen Lager zurechnen kann, hörte man nach vier Tagen Blockupy, dass die Demonstranten durch ihr friedliches, kreatives und buntes Treiben gewonnen und die Stadt Frankfurt verloren hätte. Ganz besonders schlecht soll dabei die Polizei ausgesehen haben, die Frankfurt in eine Festung verwandelt habe, wo doch weit und breit nichts von den Demonstranten wahrzunehmen war. Als ob sich 20.000 Menschen einfach so in Luft auflösen könnten und 5.000 Polizisten de facto umsonst aufgeboten worden wären, um die Stadt zu schützen.

Ich möchte mich an dieser Stelle nicht darüber auslassen, ob das Aufgebot an Polizisten als Reaktion auf die Gerichtsurteile und die damit verbundenen Demonstrationsverbote am Himmelfahrtstag und dem darauf folgenden Freitag für deren Durchsetzung angemessen waren oder nicht. Auch nicht, ob die Protestierenden durch ihr friedfertiges Verhalten Stadt und Polizei als übertrieben ängstlich und sicherheitsfanatisch blamiert haben oder nicht. Klar, dass sich jetzt alle kaputtlachen, allen voran die Kommentatoren, die sich ja gerne hinterher als die Schlaueren gerieren und sowieso immer alles schon gewusst haben. Vielmehr stellt sich die Frage, ob die Geschichte tatsächlich so friedvoll und glimpflich abgelaufen wäre, wenn es möglicherweise nur 2.000, 1.000 oder noch weniger Polizisten gegeben hätte, die am Samstag in den Seitenstraßen für alle Fälle bereitstanden, während sich der Demonstrationszug durch die Innenstadt bewegte. Denn man sollte nicht vergessen, dass die Veranstalter von Blockupy ursprünglich das geplant hatten, was nun durch die List der Vernunft die Polizei durch ihre Omnipräsenz bewerkstelligt hat: die Stadt für mehrere Tage zu blockieren.

Mich hat die ganze Angelegenheit an Situationen erinnert, wie man sie in den Finanzmärkten immer wieder erleben kann. Wir versuchen so oft, uns gegen den so genannten Worst-Case, den schlimmsten Fall, zu versichern. Zurzeit etwa für den Fall eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone oder auch gegen andere Unwägbarkeiten. Schlicht aus einem Kontrollbedürfnis heraus, das auch noch die schlechte Eigenschaft hat, äußerst ansteckend zu sein. Und da viele Akteure in solchen Fällen oftmals zu denselben Mitteln greifen, entsteht so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Und wenn das Ungemach dann schließlich eintritt, erlebt man häufig – weil bereits alle Marktteilnehmer positioniert sind – nach dem Motto „buy the rumour, sell the fact“ eine Marktentwicklung in die Richtung, mit der keiner gerechnet hatte. So verhielt es sich auch,  als beispielsweise die Rating-Agentur Standard & Poor’s am 13. Januar dieses Jahres die Bonität mehrerer europäischer Staaten herabstufte und viele Händler deswegen mit einem Absturz des deutschen Aktienmarktes gerechnet hatten. Stattdessen legte der DAX in den kommenden Wochen um mehr als 1.000 Punkte zu. Mit anderen Worten: Aus der self-fulfilling prophecy wurde eine self-fulfilling destruction, eine sich selbst erfüllende Zerstörung der Absicherung. Und genau wie bei Blockupy Frankfurt fragte sich hinterher mancher Akteur, ob denn die ganze Hysterie nicht ein bisschen übertrieben gewesen sei.

Allerdings gibt es in beiden Fällen keine Garantie dafür, dass eine entgegengesetzte Strategie – also beim nächsten Mal kein Polizeiaufgebot bzw. beim nächsten Katastrophenszenario keine Absicherung – eher zum Erfolg führen würde. Denn die Frage nach dem „Was wäre, wenn“ wird man nie beantworten können. Das sollten sich übrigens auch diejenigen sagen, die heute für die Abschaffung des Euro sind.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE
2 Kommentare
  1. Antworten

    Philippe

    22. Mai 2012

    Wenn man es sich mal genau überlegt:
    – Demonstrationsverbot
    – Polizeiaufmarsch (um wen zu schützen – das Volk – eher nein – die Banker – eher ja)
    – Hetze durch die Medien

    also mir kommt da die Frage:

    Was würde man in einer Diktatur anders machen???

    Oh…, nicht viel, vielleicht würde man die Demonstrationsteilnehmer gleich weg sperren, aber eigendlich würde man es doch genauSO machen, oder… ?

    Personalien wurden bestimmt genug aufgenommen?

    Nennen wir das Kind beim Namen: Willkommen in der EURO Diktatur!!!

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv