Zweifelhaftes Recht auf Rendite
Das ist doch die Höhe! dachte ich in einem ersten Reflex, als ich las, dass die mächtigen Hedgefonds laut einem Bericht der „New York Times“ vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen wollen, um ihr Recht auf Rendite einzuklagen. Dies zumindest soll ihr Plan sein, falls Griechenland die Vertragsbedingungen seiner Staatsanleihen ändern und seine Schulden nicht zurückzahlen wird. Denn ein erzwungener Schuldenschnitt sei ein Eingriff in das Eigentumsrecht, und das gelte in der EU als Menschenrecht, so die Argumentation der Hedgefonds.
Dann aber erinnerte ich mich an einen Beitrag des Politikwissenschaftlers Robert Reich in der FTD vom 18. Januar, der darauf hinwies, dass die gegenwärtige Krise ein Triumph von Verbrauchern und Anlegern über Arbeitnehmer und Bürger sei. Viele von uns nehmen auf irgendeine Weise eine oder mehrere dieser Positionen gleichzeitig ein. Sei es als Anleger, der eine höhere Rendite als sein Nachbar anstrebt – ein Ehrgeiz, der viele beflügelt. Sei es als Verbraucher, der sich aufgrund des riesigen globalen Angebots im Internet den günstigsten Flatscreen oder den nächsten spottbilligen Kurzurlaub sucht. Müßig zu sagen, dass das eine Prozent Überrendite oder aber auch das Schnäppchen „made in Taiwan, Malaysia oder China“ letztlich von irgendjemandem bezahlt werden muss. Bei Konsumgütern sind dies möglicherweise Kinder, mitunter aber auch Erwachsene, die irgendwo in der Welt, weit weg von hier, unter teils unsäglichen Bedingungen das produzieren müssen, was wir günstig einkaufen. Oder die Billigangebote hierzulande, die nur deswegen möglich sind, weil Arbeitnehmer seit Jahren Reallohneinbußen hinnehmen oder die Niedrigpreise sogar mit ihrer Entlassung bezahlen müssen.
Der Anleger bezahlt den Renditevorsprung gegenüber den anderen normalerweise mit einem höheren Risiko. Auch ich kenne jemanden, der sich mit billigen griechischen Bonds eingedeckt hat, in der Hoffnung oder der vermeintlichen Gewissheit, dass im Zweifel andere einspringen würden, wenn die Rückzahlung nicht mehr gewährleistet ist. Auch Hedgefonds haben darauf gesetzt, indem sie solche Ausfälle nicht nur einfach-, sondern gleich mehrfach versichert haben. Wenn also Investoren meinen, es könne nicht sein, dass Angela Merkel darüber entscheidet, wer Verluste erleidet, dann vergessen sie dabei, dass die deutsche Kanzlerin ihre Bürger verteidigt, um einer Sozialisierung europäischer Verluste zu entgehen.
Ja, fast hat man den Eindruck, die Hedgefonds verhielten sich wie private Verbraucher, die behaupten, falsch beraten worden zu sein, und sich nun auf dem Rechtsweg ihre Verluste wieder zurückzuholen. Warum also regen wir uns auf? Ist nicht jeder von uns ein Schnäppchenjäger? Ist das alles gar nicht so dramatisch, weil manche von uns Anleger, Verbraucher, Arbeitnehmer und Bürger in Personalunion sind? Dann wäre tatsächlich nicht alles so tragisch. Probleme gibt es nur, wenn diejenigen, die den Hedgefonds ihr Geld zur Verfügung stellen, weder Arbeitnehmer noch Bürger unseres Landes sind. Oder sich diese Anleger – und dies dürfte nicht selten der Fall sein – aufgrund der Ungleichverteilung des Vermögens in der Gesellschaft unter den obersten Zehntausend befinden. Dann bekommen wir tatsächlich ein komisches Gefühl. Denn zu den europäischen Menschenrechten gehört nicht nur das Recht auf Eigentum, sondern auch das Recht auf Freiheit, Sicherheit, Arbeit und angemessene Entlohnung. Hoffentlich werden die Richter im Fall des Falles auch das berücksichtigen, wenn es darum geht, ein gerechtes Urteil zu finden.
EuroTanic
Genau so gut könnte das amerikanische Militär auf ihre Recht auf Kriegstote, Invalide und Folter beim Menschen Gerichtshof klagen.
Anni
Menschenrecht auf Rendite? Das ist aber wirklich zweifelhaft.