Märkte Politik

Ungewollte Transparenz

am
18. Januar 2012

Man konnte schon fast eine Wette darauf abschließen, wie die Politiker hierzulande auf die Herabstufung Frankreichs und anderer europäischer Staaten durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s reagieren würden. So äußerte etwa Finanzminister Schäuble am vergangenen Montag „dringenden Handlungsbedarf“, um den Einfluss der großen drei US-Rating-Agenturen einzudämmen. Laut ist der Ruf nach Transparenz und mehr Wettbewerb. Ein probates Mittel hierfür wäre in den Augen vieler Kritiker des derzeitigen Systems die Gründung einer eigenen europäischen Rating-Agentur. Pläne hierfür gibt es schon seit längerem, aber ich habe den Eindruck, dass diese nicht mit der gebotenen Dringlichkeit in die Tat umgesetzt werden.

Abgesehen davon, dass Herabstufungen einzelner Länder durch die Rating-Agenturen wie im Falle Frankreichs und anderer Staaten sich schon Wochen zuvor meist bereits in den Anleiherenditen niedergeschlagen haben, oder wie im Falle der USA die Herabstufung derselben durch Standard & Poor’s überhaupt keine Wirkung zeigten, wäre die Gründung einer Europäischen Agentur psychologisch betrachtet nicht ganz unproblematisch.

Ich kann mich daran erinnern, wie ich vor Jahren, als man den Rating-Agenturen im Zuge der Hypothekenkrise vorwarf, zu zögerlich gewesen zu sein, forderte, über eine drastische Korrektur des Geschäftsmodells „Rating-Agentur“ nachzudenken. Weil von vielen Seiten (und dies nicht ganz zu Unrecht) eine zu starke Bindung an ihre Auftraggeber vorgeworfen wurde. Damals machte ich mich für eine Anonymisierung der Zahlungspflichtigen und deren Sammlung in einem Pool stark, damit das Commitment, das durch die Bezahlung einzelner konkreter Adressaten normalerweise entsteht, für die Agenturen gesenkt würde. Wobei man sich natürlich damals wie heute die Frage stellen muss, ob das Gewinnstreben und die Unabhängigkeit der Agenturen miteinander überhaupt vereinbar sind.

Natürlich kann man jetzt auf die Schnelle eine europäische Rating-Agentur gründen, womit das Commitment-Problem jedoch nicht aus der Welt geschafft wird. Denn auch ein staatlicher europäischer Auftraggeber möchte in Wahrheit nicht mehr Transparenz sondern ein Gegengewicht zu missliebigen Urteilen aus den USA. Darüber hinaus kann man sich jetzt schon vorstellen, wie viel die Marktteilnehmer auf das Urteil einer noch jungen, möglicherweise auch noch unerfahrenen europäischen Institution geben werden: Nicht mehr, als auf das Urteil US-amerikanischer Agenturen. Es sei denn sie werden dazu per Gesetz gezwungen.

Am Ende wird eines deutlich: Zu einer einflussreichen Rating-Agentur gehören wie bei der medialen Berichterstattung hierzulande etwa in der nimmer enden wollenden Causa des Bundespräsidenten Wulf immer zwei. Einer, der das Urteil oder die Information anbietet, und die vielen anderen, die beides mit großem Interesse hören wollen. Und sei es per Order de Mufti.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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