Märkte Wirtschaft

Schweizer Bluff?

am
23. Januar 2012

Nun ist es ja bald fünf Monate her, dass die Schweizer Nationalbank (SNB) verkündete, sie werde ihre Währung an den Euro mit einer Untergrenze von 1,20 CHF pro Euro binden. Und dass sie im Zweifel dazu bereit sei, zur Verteidigung dieses Kursniveaus ausländische Valuten in unbegrenzter Höhe zu kaufen. Bis dahin hatte die SNB den Schweizer Franken immer wieder durch Interventionen erfolglos zu schwächen versucht. Damals, im September 2011, habe ich dieses Vorgehen als schweren Sündenfall bezeichnet, vielleicht auch, weil ich mir bis dahin nicht hatte vorstellen können, dass eine konservative eidgenössische Zentralbank jemals ein derartiges Statement abgeben würde. Geschweige denn, dass sie ihr Versprechen einlösen könnte. Immerhin: Theoretisch bräuchte die SNB nur ihre eigene Währung  in großem Stile zu drucken und gegen ausländische Devisen, etwa Euros, zu tauschen.

Bis heute ist die besagte Untergrenze des Euro gegenüber dem Franken von den Marktteilnehmern nicht einmal ansatzweise getestet worden. Im Gegensatz etwa zur Bank von Japan (BoJ), die unter ähnlichen Kapitalzuflüssen zu leiden hatte und erhebliche Beträge zur Stützung des US-Dollar aufbringen musste, reichte der SNB über Monate hinweg alleine die Drohung, dass sie im Ernstfall eingreifen würde. Ja, der vorauseilende Gehorsam der Marktteilnehmer war so stark, dass viele Akteure der Nationalbank sogar die Arbeit abnahmen und bis heute teils stattliche Long-Positionen in Euro gegen Schweizer Franken unterhalten. Engagements, von denen auch spekulativ veranlagte Privatanleger glauben, sie seien bei 1,20 CHF pro Euro geschützt. Nicht umsonst haben immer wieder Gerüchte die Runde gemacht, die SNB werde diesen Interventionsboden, um ihrer Politik Nachdruck zu verleihen, sogar auf 1,25 wenn nicht gar 1,30 CHF anheben. Gerüchte allerdings, die besonders gerne von denen verbreitet wurden, die in diesem Falle einen von der Zentralbank subventionierten Gewinn ohne großes Risiko, einen so genannten „Free Lunch“, erhalten hätten.

Wenn man unterdessen die Kursentwicklung des Euro gegenüber der Schweizer Valuta während der vergangenen neun Wochen verfolgt, lässt sich ein langsames, aber verdächtig stetiges Abgleiten des Wechselkurses  beobachten. Demnach scheint die Interventionsdrohung vieles von ihrem Schrecken verloren zu haben. Allein schon durch den Rücktritt ihres Präsidenten Hildebrand hat die SNB an Glaubwürdigkeit und damit einen Vertrauensvorschuss der Akteure verloren, von dem ihre Politik monatelang profitiert hat.

Aber auch der Zeitverlauf selbst – der ganz alltägliche Gewöhnungseffekt – hat dazu geführt, dass die einstige Drohung der SNB mittlerweile nicht mehr ganz so ernst genommen wird. Zumal massive Interventionen für die schweizerische Wirtschaft nicht folgenlos blieben. Es würde mich daher kaum verwundern, wenn die Marktverhältnisse die SNB schon bald dazu zwängen, ihr Pokerblatt auf den Tisch zu legen. Wollen wir hoffen, dass die Notenbanker dann genügend Asse auf der Hand haben, um all die Investoren bedienen zu können, die bislang wegen der Interventionsdrohung davor zurückschreckten, ihr Geld in Schweizer Franken anzulegen. Mehr noch, würde sie von all den Marktteilnehmern unter Druck gesetzt werden, die im Glauben auf einen sicheren Gewinn ihre Positionen mit Verlust (und hoffentlich ohne Panik) wieder auflösen müssten.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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