Politik Wirtschaft

Zocken fürs Gemeinwohl

am
30. September 2010

Da las ich doch kürzlich, der griechische Staat wolle in Zukunft am bislang unregulierten illegalen Glücksspiel mitverdienen, das vorzugsweise im Internet stattfindet. Um die leeren Kassen aufzufüllen, sollen über einen entsprechenden Gesetzentwurf die verbotenen Spiele durch Erhebung einer staatlichen Glücksspielabgabe legalisiert werden. Und damit sich niemand darüber aufregt, erhöht man gleichzeitig auch die Steuern auf die bereits gesetzlich erlaubten Glücksspiele. Immerhin geht das Finanzministerium von einem jährlichen Umsatz im illegalen Glücksspielbereich von bis zu vier Milliarden Euro aus.

Ich möchte mich an dieser Stelle gar nicht darüber auslassen, dass Internetzocker diese Steuer möglicherweise umgehen können, indem die spielbegeisterten Griechen (darin sollen sie in Europa laut des für Regulierung zuständigen Ministeriums tatsächlich führend sein) einfach im benachbarten Ausland weiterspielen. Ganz zu schweigen davon, ob sich künftig nicht die Fälle von Spielsucht häufen werden. Wer weiß – vielleicht blüht einem griechischen Glücksspielmonopol ja ein ähnliches Schicksal wie dem deutschen, das ja bekanntlich vor drei Wochen vom Europäischen Gerichtshof in Frage gestellt wurde. 

Vielmehr geht es mir um die schleichende Verschiebung des moralischen Referenzpunktes. Was einmal möglicherweise aus Sorge um die Gesundheit der Menschen als vergleichsweise harmlose Tabak- und Branntweinsteuer  anfing (deren Einnahmen vermutlich bis heute nicht für die Finanzierung der staatlichen Krankenkassen verwendet werden), setzt sich jetzt klammheimlich fort. Dabei heiligt der Zweck offenbar die Mittel. Interpol bringt illegales Glückspiel mit organisierten Verbrechen wie Prostitution und Geldwäsche in Verbindung. Und das Europäische Parlament ist der Meinung, dass das wachsende Angebot an Online-Glücksspielen den Nährboden für andere betrügerische Machenschaften, wie beispielsweise Wettabsprachen, legen könnte. Da bekämpft man also auf der einen Seite vehement Steuersünder, andererseits könnten sich demnächst Geldwäscher und Fußballmanipulatoren durch Zahlung der Glücksspielabgabe quasi in ihrem Treiben gerechtfertigt fühlen: „Was wollt ihr denn? – Der Staat, das seid doch ihr alle, also profitiert ihr doch auch davon!“ Dieses Argument werden vielleicht demnächst auch die Drogenhändler aufgreifen und freiwillig auf jedes gedealte Kilo Kokain ihren Obolus entrichten. Not macht erfinderisch: Wie wär’s mit einer Korruptionsabgabe?

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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