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Für eine Handvoll Euros

am
29. September 2010

Für manch einen mögen es nur kleine Beträge sein, wenn es um die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze geht, die das Bundesverfassungsgericht per Urteil im Februar 2010 angemahnt hatte. Die Berechnung des Regelsatzes sei nicht transparent genug und daher nicht nachvollziehbar, das Existenzminimum nicht ordentlich berechnet, sondern nur grob geschätzt, so die Kritik der Richter.

Am Ende kommt jetzt, so die Koalition ihren Vorschlag durchsetzen kann, bei der ganzen Geschichte ein um fünf Euro erhöhter Hartz-IV-Regelsatz und jede Menge Wut und Enttäuschung bei den Betroffenen heraus. Nicht weil fünf Euro bei einem Normalverdiener unter der Wahrnehmungsschwelle liegen würden. Vielmehr ist es die Art und Weise wie die Reform präsentiert wird.

Ich möchte gar nicht davon sprechen, dass allein mit der sporadischen Darstellung etwaiger Listen und Hochrechnungen für das „neue Hartz IV“ in der Boulevardpresse ein Bezugspunkt gesetzt wurde, der mit dem jüngsten Vorschlag bei weitem verfehlt wurde. Auch nicht davon, ob (nach Abzug der Hartz-IV-Haushalte) das Einkommen der unteren 20 oder das der unteren 15 Prozent der bundesdeutschen Haushalte als Referenzgruppe herangezogen wurden. Eine Gruppe übrigens, die per se nicht nur durch zu niedrige Löhne, sondern auch durch zu hohe Sozialabgaben (letztere sind ab einer Grenze von 800 Euro monatlich voll zu bezahlen) belastet wird.

Tatsächlich ist die Koalition der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach mehr Transparenz mit ihrer 74 Seiten fassenden Aufstellung so folgsam nachgekommen, dass man meinen könnte, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Doch eine solch akribische Aufstellung verführt aber auch Parteien jedweder Couleur, an kleinen Einzelpositionen herumzuschrauben. Wobei leider nicht beachtet wird, dass Gewinne und Verluste auch hier unterschiedlich wahrgenommen werden: Letztere doppelt so stark wie Gewinne in gleicher Höhe*.

Am Ende ist aber nur eines sicher: Je mehr die Parteien um solche Kleinstbeträge bei den notwendig gewordenen Verhandlungen im Bundesrat schachern, desto höher das Risiko, dass am Ende im Gedächtnis der Hartz-IV-Empfänger vornehmlich die Streichposten hängen bleiben. Das schlägt auf die ohnehin miese Stimmung der Betroffenen, möglicherweise aber auch auf deren Verhalten bei den nächsten Wahlen. Am Ende schneidet nämlich der besser ab, der pauschal eine Erhöhung des Regelsatzes – etwa auf die nächste runde Zahl (400 Euro) – einfordert, ohne uns jedoch zu sagen, wer die Zeche dafür bezahlen soll.       

* Wer etwa hypothetisch das Konto „Bildung“ von den geplanten 1,39 Euro um zwei Euro erhöhen möchte und denselben Betrag der „Gesundheitspflege“ (unterstellt werden monatlich 15,55 Euro) belasten möchte, sollte sich nicht wundern, wenn diese Belastung nicht nur von der Umwelt, sondern von den Hartz-IV-Empfängern selbst viel schwerer als der gleich hohe Gewinn auf dem „Bildungskonto“ bewertet wird.

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1 Kommentar
  1. Antworten

    Horst Schmidtke

    30. September 2010

    Schaut man sich das HartzIV-Hick-Hack an, wäre es vielleicht sogar am besten, pauschal 1000 €/Monat + einer warmen Wohnung zu stellen. Das ginge dann so lange gut, bis keiner mehr deutsche Staatsanleihen mehr kauft und der Spuk hätte vermutlich ganz schnell ein Ende.

    Ebenso zielführend könnte es sein, dass bei einer Aufstockung auf die ominösen 420 € eine Massenkündigung von „Aufstockern“ propagiert wird, um allein durch schiere Masse an neuen Vollbeziehern das System kollabieren zu lassen.

    Im Osten, also da, wo ich her komme, gibt es eine Vielzahl von Leuten, die trotz 8 Stunden/Tag regulärer Arbeit 50 – 100 €/Monat aufstocken. Wirtschaftlich ist dies nicht, da man Aufwendungen für Fahrten zur Arbeit etc. steuerlich nicht geltend machen kann. Unter dem Strich hat man somit eigentlich weniger in der Tasche, als der „Vollzeithilfsbedürftige“.

    Ich denke aber, dass Letzteres sich von ganz allein auflösen wird, da die Generation HartzIV-2 keine Aufstockjobs mehr annimmt, da die keinen Arbeitsethos mehr vermittelt bekamen. Entsprechend sind Gewissen klein und innerer Schweinehund groß. Allein diese Entwicklung wird das Luftschloss perspektivisch auf ein Almosenniveau zusammenschrumpfen.

    Soll doch einer mal den Arbeitenden vermitteln, warum die dies noch tun sollten, wenn Sozial- und Steuerlasten immer weiter steigen. Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungen sind nur dahingehend zukunftssicher, dass mehr Geldbedarf bei zurückgehenden Leistungen besteht. Ebenso wird der „Staat“ aus dem Steuerzahler ob seiner rückläufigen Zahl tendenziell mehr herauspressen müssen. Entsprechend wird die Belastung ganz fix > 50 % liegen und sich für die meisten Normalverdiener die Frage stellen, ob es noch SInn macht arbeiten zu gehen.

    Ich denke, die sozialistischen Anwandlungen der BRD werden demnächst ein Ende finden. Man darf gespannt sein, was danach kommt. Frei nach August Bebel sollte niemand zu essen bekommen, der nicht arbeitet, denn ein Grundrecht auf Faulheit finanziert durch Den Dummen Rest (gängige Schreibweise für DDR) wird auf Dauer nicht als Solidarität verkaufbar sein, Solidarität kann nämlich nie bedingungslos sein.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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