Behavioral Living

Vor der Nase weggeflogen

am
30. Juli 2010

Es war der Flug LH 017 um 13.55 Uhr von Hamburg nach Frankfurt, den ich gebucht hatte. Da sich mein temporäres Domizil jedoch gut 100 km entfernt vom Flughafen befand, hatte ich mir  zwei Tage zuvor einen Mietwagen mit ordentlich  PS unter der Haube gemietet. Und weil der Service von AVIS so richtig gut ist, wird der Mietpreis bei Übergabe des Wagens gleich um den Betrag einer Tankfüllung erhöht, was mich im ersten Moment natürlich stutzig machte, da ich einmal für fehlendes Benzin in der Vergangenheit bei einem anderen Verleiher mit gut drei Euro pro Liter nachbelastet wurde. Genau deswegen achte ich schon aus Gewohnheit peinlich genau darauf, Leihwagen immer voll getankt zurück zu geben. Man könnte auch von Verlustaversion sprechen.

Doch wie stand es dieses Mal? Hundert Euro Rabatt auf den Mietpreis, wenn ich den Mercedes vollgetankt zu AVIS zurückbrächte? Das hört sich bei einem Mietpreis von ursprünglich 400 Euro nicht schlecht an. 400 Euro, ein Referenzpunkt, an den ich mich zuvor sowieso  schon gewöhnt hatte. Mental also einen Gewinn, für den sich der Umweg zur Tankstelle vor dem Hamburger Flughafen eigentlich lohnen sollte. Zeitaufwand: Ganze 10 Minuten. Aber noch besser war, dass ich nur 17 Liter nachtanken musste.

Kurz darauf später, am Check-In  angekommen, – tatsächlich war ich bezogen auf die gebuchte Maschine fast zwei Stunden zu früh dran – fragte ich bei der netten Dame am Schalter nach, ob ich denn angesichts der langen Wartezeit möglicherweise noch einen Platz in der davor abfliegenden Maschine ergattern könnte. Kurzer Anruf am Gate: „Hallo Frankfurt, seid Ihr noch offen?“ – „Nein, die Linie für die 12.25 Uhr Maschine wurde soeben geschlossen. Tut mir leid, aber wir müssen eine Grenze ziehen“.

Wie gerne hätte ich jetzt auf den Umweg zur Tankstelle verzichtet, obwohl ich doch zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts von einer 12.25er Maschine wusste. Jetzt aber hatte ich ein anderes Bewusstsein. Vermutlich wäre ich jetzt sogar bereit gewesen einen hohen Preis für das fehlende Benzin zu bezahlen. Nur um nicht dieses blöde Gefühl zu haben, mir sei eine Maschine vor der Nase davon geflogen – eigentlich ein teurer Spaß, um etwas  los zu werden, was ich unter normalen Umständen gar nicht bemerkt hätte. Oder einfach nur ein Fall von verspäteter Regretaversion.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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