Dollar am Morgen Märkte

Von Kontrollverlust und Panik

am
16. März 2020

EUR USD (1,1125)             Obwohl die Kurse an den Aktienmärkten dies- und jenseits des Atlantiks mal 10 Prozent runter, mal 10 Prozent rauf gehen – und das innerhalb weniger Tage, glauben manche Marktteilnehmer immer noch, dass es sich um keine Panik gehandelt habe. Wohl dem, der angesichts dieser rasanten Achterbahnfahrt keine Schwindelanfälle bekommen hat. Kurzum: Die Märkte scheinen während der vergangenen Tage außer Kontrolle geraten zu sein. Und wir lernen gerade wieder einmal, dass es Situationen an der Börse wie auch im Leben gibt, die sich menschlicher Kontrolle entziehen. Gerade die jüngsten dramatischen Entwicklungen bei der Korona-Krise lehren uns, dass Sicherheit eine Illusion ist. Und wenn Menschen dies realisieren, reagieren sie oftmals geschockt.

 

Kompetenz bestimmt Kontrollbedürfnis

Es liegt in der Natur des Menschen und somit auch der Anleger und Investoren, die Zukunft, und sei es auch nur die materielle, irgendwie beherrschen zu wollen. Dieses sogenannte Kontrollbedürfnis ist bei den einen stärker, bei den anderen etwas schwächer ausgeprägt. In diesem Zusammenhang spielt unter verhaltensorientierten Gesichtspunkten unter anderem die Kompetenz des Akteurs eine große Rolle. Sie entscheidet darüber, wie groß das individuelle Bedürfnis nach Kontrolle ausfällt. Ein Anleger oder Investor, der seit einigen Jahrzehnten mit DAX-Werten handelt, wird sicherlich weniger nervös jeder neuen Information hinterherjagen als ein Anfänger. Er vertraut auf seine Erfahrung. Allerdings läuft er Gefahr, diese zu überschätzen. Und wenn sich bei ihm auch noch reihenweise profitable Erfolge einstellen, besteht nicht nur die Gefahr eines zu starken Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten (Overconfidence), sondern im Extremfall die Einbildung, alles sicher im Griff zu haben (Kontrollillusion).

 

Von der Sorglosigkeit zum Kontrollverlust

Nun kann die rund elf Jahre währende Börsenhausse, die wohl am 19. Februar ihren Höhepunkt erreicht hatte, fast schon als Spiegelbild einer erlernten Sorglosigkeit betrachtet werden. Eine Sorglosigkeit, aus der binnen drei Wochen eine gewisse Hilflosigkeit geworden ist. Spätestens als deutlich wurde, dass wir es an den Aktienmärkten mit mehr als einer gesunden Korrektur des Aufwärtstrends zu tun bekommen haben, meldete sich das Bedürfnis nach Kontrolle wieder. Weil die Bezugspunkte von tief und hoch verloren gegangen waren. Referenzpunkte, die wir uns von den Experten erhoffen.

Aber die Prognosen selbst derjenigen, die schon immer alles gewusst und vorhergesehen hatten, haben nicht geholfen, dieses Kontrollbedürfnis zu stillen. Und gerade wenn Menschen zunächst meinen, eine Situation beeinflussen oder gar beherrschen zu können, später jedoch durch die Realität eines Besseren belehrt werden, sprechen die Psychologen von einem Kontrollverlust. Und spätestens, wenn dieser ansteckend ist, spricht man an den Finanzmärkten von einer Panik.

 

Nicht überall herrscht Panik

Im Gegensatz zu den großen Börsenkrisen der Jahre 1929 und 2008, mit denen die Situation von heute gerne verglichen wird, ist der jetzige Kontrollverlust nicht primär an den Finanzmärkten selbst entstanden. Vielmehr stand am Anfang die Corona-Epidemie, die sich nunmehr zur Pandemie ausgeweitet hat. Interessanterweise gab es auch in der Bevölkerung sicherlich Kontrolldefizite und manchmal auch phasenweise Kontrollverluste. Aber bislang keine echte Panik.

Stattdessen herrscht immer noch relative Besonnenheit. Weil man versucht, etwaige Kontrolldefizite dadurch zu reduzieren, dass man sich Informationen besorgt oder sich an jemanden wendet, der zum Beispiel etwas von Viren versteht. Und dann werden auch staatlicherseits Maßnahmen ergriffen, die letztlich den Eindruck vermitteln sollen, dass man die Gefahr, die von Covid-19 ausgeht, irgendwie in den Griff bekommen oder zumindest in ihrer Wirkung verlangsamen wird. Selbst wenn dafür die Bewegungsfreiheit der Menschen und der Alltag massiv beschränkt werden müssen.

Schickt die Märkte in Urlaub!

Gestern hörte ich irgendwo im Radio sinngemäß den Satz: „Wir schicken die Wirtschaft eine Zeit lang in Urlaub“. Könnte man dies nicht auch für die Aktienmärkte sagen, an denen gleich zweierlei Kontrolldefizite zu bewältigen sind? Zum einen die unsichere Zukunft für unsere Gesundheit und zum zweiten auch noch die ökonomische Zukunft der Anleger und Investoren. Auch wenn sich für manch einen eine solche Ruhepause fürchterlich anfühlen mag, weil man für gewisse Zeit womöglich nicht mehr aus seinen Engagements heraus kann. Aber die Vorteile einer Zwangspause wären nicht zu vernachlässigen. Vor allem wenn die führenden Nationen dieser Welt mitmachen. Abgesehen davon, dass wir durch unsere menschliche Fähigkeit, uns ziemlich schnell an neue Situationen anzupassen (Gewöhnung), Zeit gewännen, um unsere Bezugspunkte (was ist hoch – was ist tief?) neu zu kalibrieren, würden im gleichen Zuge Kontrolldefizite und -verluste von heute verringert werden können.

 

Fed-Bazooka gegen Kontrollverlust

Nun hat die US-Notenbank gestern Abend erneut außerplanmäßig (zwei Tage vor dem Ende der regulären Sitzung am Mittwoch) den Zielkorridor für die Fed Funds gesenkt, und zwar auf 0 bis 0,25 Prozent, also drastisch um einen Prozentpunkt. Darüber hinaus wurde unter anderem ein Anleihekaufprogramm (QE) in Höhe von 700 Mrd. USD verkündet und die Mindestreservesätze auf Null gesenkt. Obgleich es sich um das größte Programm handelt, das jemals an einem Tag von der Fed verabschiedet wurde, reagierten die US-Aktien-Futures mit deutlichen Abschlägen. Der Euro bleibt unterdessen in seinem kurzfristigen Aufwärtstrend, solange er sich oberhalb von 1,1050 bewegt.

 

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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