Dollar am Morgen Märkte Politik

Verspätete Angst

am
14. Mai 2019

Nun scheint es im US-chinesischen Handelskonflikt offensichtlich doch richtig ernst zu werden. Zumindest bekommt man diesen Eindruck, wenn man auf die Entwicklung der Aktienmärkte am gestrigen Handelstag blickt, wo etwa der S&P 500 Index an einem Tag mehr Federn lassen musste als in der kompletten Woche zuvor. Die Ursache liegt auf der Hand, denn im Handelskonflikt mit den USA hat China nun seinerseits die Zölle auf US-Importe im Gesamtwert von 60 Mrd. USD erhoben. Dabei gelten nun Strafzölle in Höhe von 5 bis 25 Prozent, dem Vernehmen nach ab 1. Juni. Aber kam diese Vergeltungsmaßnahme für die Marktteilnehmer so überraschend? Hat man ernsthaft gedacht, dass China auf die jüngste Erhöhung der Strafzölle seitens der USA und die Drohgebärden von US-Präsident Donald Trump nicht reagieren würde? Oder hat man ernsthaft geglaubt, dass China Sojabohnen, Energie und andere Güter von den USA weiterhin im bisherigen Maße kaufen würde? Chinesischen Medienberichten zufolge denken dortige Wissenschaftler bereits laut über die (nicht ganz neue) Möglichkeit nach, ob China seine Bestände an US-Staatsanleihen senken solle. Vor allem aber, auf welche Weise dies geschehen würde.

Auch wenn gestern Szenarien entwickelt wurden, denen zufolge  die Auswirkungen der Strafzölle zwar die politischen Beziehungen zwischen Washington und Peking stark beeinflussen würden. Aber dramatische ökonomische Folgen? Der Nobelpreisträger Paul Krugman etwa vergleicht (HIER) einen Importzoll mit einer Steuer. Und da gewinnt man fast den Eindruck, als ob der Handelskrieg zwischen den USA und China zumindest bis jetzt schwerlich eine globale Rezession auslösen könnte. Auch andere Kommentatoren schienen  sichtlich bemüht, die makroökonomischen Folgen des Handelskonflikts eher herunterspielen zu wollen.

Aber das Entscheidende ist wohl, dass die Akteure an den Finanzmärkten vielfach ihre Hoffnung begraben haben, dass Peking und Washington noch miteinander kommunizieren würden. Denn das war die Mindestvoraussetzung für die Hoffnung, dass es bestimmt „nicht so schlimm werden wird“.

Ganz nebenbei bemerkt: Der stellvertretende Fed-Chef Richard Clarida ging gestern in einer Rede nicht auf den Handelskonflikt ein. Dennoch dürfte das Thema Zinssenkungen bei den Mitgliedern der US-Notenbank bald schon wieder stärker, wenn auch nicht explizit, in den Vordergrund treten. Zumindest in der Gestalt, dass die Risiken für die Einschätzung der ökonomischen Gesamtlage wieder stärker betont werden. Immerhin: Die implizite Wahrscheinlichkeit für mindestens eine Zinssenkung noch in diesem Jahr (vgl. CME FedWatch Tool) hatte sich gestern Abend deutlich auf 72 Prozent (Anfang vergangener Woche lag diese noch bei etwas mehr als 50 Prozent) erhöht. Und diejenige für mindestens zwei Zinsschritte lag gestern bei mehr als 30 Prozent.

Während gestern die Nachfrage nach den typischen Fluchtwährungen Schweizerfranken und Yen deutlicher als in der vergangenen Woche angezogen hatte, profitierte auch der Euro gegenüber dem Dollar. Allerdings nur zeitweise, aber dennoch reichte der Ausflug in Richtung 1,1265 aus, um den kurzfristigen Abwärtstrend in eine Seitwärtsentwicklung zwischen 1,1125 und 1,1375 zu überführen.

 

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße Ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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