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30. Januar 2013

Unlängst wurde ich als bekennender Bordeaux-Weinliebhaber zum Thema „Wein als Anlageklasse“ interviewt, vermutlich weil das rote Gold während der vergangenen Jahre bis Mitte 2011 mit gewaltigen Preissteigerungen für Top-Gewächse aus Bordeaux und Burgund von sich Reden gemacht hatte. Dabei verwies ich darauf, dass es sich bei Rotwein zwar um ein liquides Anlagegut handelt, der Markt aber, auf dem er gehandelt wird, als illiquide angesehen werden muss – ein Problem, das ich auch in einem meiner früheren Blogbeiträge (hier) aufgezeigt hatte. Während des ganzen Frage-und-Antwort-Spiels wurde mir jedoch immer mehr klar, dass ich selbst Bordeaux-Weine eigentlich nicht sammle, um sie zu einem späteren Zeitpunkt mit Gewinn zu verkaufen, sondern um deren Inhalt eines Tages – am besten mit Freunden – zu genießen. Es stellt sich also für mich die Frage, warum ich meine über die Jahre gesammelten Weine dennoch als Investment ansehe und sogar von Zeit zu Zeit auf den Liv-ex Fine Wine 100 Index schiele, um die Marktentwicklung zu verfolgen. Betrachte ich meine flüssigen Schätze insgeheim doch als Notreserve, von der ich mich im Falle einer materiellen Zwangslage trennen könnte? Dagegen spricht jedoch neben teils hohen Bewertungsunterschieden die extrem große Spanne zwischen An- und Verkaufspreisen in dieser Anlageklasse, die manch schönen Buchgewinn in der Realität schnell wegschwemmen könnte.

Wie so oft halfen mir auch dieses Mal die Erkenntnisse der Behavioral Economics, um eine Antwort auf diese Fragen zu finden. So fand ich heraus, dass mich der Kauf meiner hochwertigen Weine im Moment der Geldausgabe zwar schmerzt. Doch weil diese Flaschen meist nicht für den sofortigen Verbrauch, sondern vielfach für eine manchmal jahrelange Lagerung gedacht sind, ist die Geldausgabe in der Gegenwart mental relativ leicht zu verschmerzen. Mit anderen Worten: Dem heutigen Konsumverzicht steht ein mentales Konto für ein Investment in zukünftige, allerhöchste Genussfreuden gegenüber. Also ein Gefühl ähnlich dem eines Investors, der sich in der Gegenwart in Konsumverzicht übt und stattdessen Anleihen kauft, um sich in der Zukunft einer Rendite zu erfreuen.

 

Längst bezahlte Rechnungen schmerzen kaum

Unlängst habe ich mit ein paar Freunden schließlich einen wunderbaren Abend verbracht, in dessen Verlauf ich mehrere dieser „Weininvestments“ öffnete und sie zusammen mit meinen Gästen leerte – darunter befand sich sogar ein mehr als 60 Jahre alter Bordeaux.  Irgendwann fragte mich dann einer der Anwesenden hinter vorgehaltener Hand, ob ich es denn nicht bereuen würde, so teure Flaschen für einige wenige schöne Stunden zu opfern. Ich erwischte mich dabei, dass ich nicht einmal mehr deren ursprünglichen Kaufpreis erinnerte, was aber eigentlich auch egal war. Natürlich könnte ich jetzt behaupten, das Glück, in die strahlenden Gesichter und verklärten Augen meiner Freunde zu blicken sei mir jeden Preis wert. Das stimmt natürlich auch, gleichwohl ist es nur die halbe Wahrheit. Denn mental hatte ich das ursprüngliche Weininvestment ja schon längst abgeschrieben, die Rechnung war ja bereits vor Jahren von mir bezahlt worden.

Mindestens so lange bezahlt war auch eine Flasche Bordeaux, die mir kürzlich aus dem Klimaschrank rutschte und auf dem Kellerboden zerschellte. Aber das war offensichtlich etwas anderes: „Das ausgerechnet mir das passieren muss!“, fluchte ich und ärgerte mich noch Stunden später über das Malheur, obwohl ich noch Glück im Unglück hatte: Es hatte sich um eine ausgesprochen günstige Flasche gehandelt. Dass ich in diesem Moment offenbar ein neues mentales Konto eröffnen musste, um den Verlust zu ersetzen, wurde mir erst am nächsten Tag bewusst, als ich im Internet genau zu diesem Thema ein ausgesprochen interessantes und lesenswertes Paper von Eldar Shafir und Richard Thaler[i] fand.



[i] Shafir, Eldar & Thaler, Richard H. (2006): Invest now, drink later, spend never: on the mental accounting of delayed consumption, Journal of Economic Psychology 27, pp. 694-712

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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