Märkte

Gerüchteküche

am
28. Januar 2013

Groß war das Geschrei, als der DAX am vergangenen Dienstag innerhalb von Minuten um mehr als 100 Zähler verlor und sich kurz darauf wieder erholte. Schnell war die Rede von Marktmanipulation und „dicken Fingern“. Auf Twitter wurde ich dann ganz rasch fündig: Ursache für den Kurssturz sollte die Meldung, Bundesbankpräsident Weidmann sei zurückgetreten, gewesen sein, welche allerdings  von der Bundesbank umgehend dementiert worden war. Nach deren Erkenntnissen soll das Gerücht von einem Twitter-Account, den ein Dienst für Finanznachrichten mit Zehntausenden von Followern betreibt, in Umlauf gebracht worden sein. Möglich, dass jemand versucht hatte, sich an der Mini-Panik zu bereichern, weswegen jetzt auch die Finanzaufsicht BaFin Ermittlungen aufgenommen hat.

Sicher ist es moralisch gesehen mehr als fragwürdig, zwecks Marktmanipulation gezielt Gerüchte in die Welt zu setzen, um dann deren Auswirkungen auf den Markt auszunutzen. Auch ist es verständlich, dass die Aufsichtsbehörden es nicht hinnehmen können, wenn Marktteilnehmer durch Streuung zweifelhafter Nachrichten einen Vorteil für sich herauszuschlagen versuchen. Aber hat es Marktgerüchte nicht schon seit Bestehen der Finanzmärkte gegeben? Das war früher auch nicht anders, als sich Händler per Telefon und Telex miteinander verständigten. Mit einem Unterschied: In jenen Zeiten konnten sich Gerüchte viel länger halten weil sie aufgrund fehlender oder zu langsamer Medien nur schleppend bestätigt oder dementiert wurden.

 

Ein Gerücht, unterschiedliche Wirkung

Damals wie heute gilt allerdings, dass Gerüchte wie Informationen nur dann auf offene Ohren stoßen, wenn ihre Botschaft willkommen ist. Und darin liegt auch das Risiko desjenigen, der ein Gerücht in die Welt setzt: Es muss zur rechten Zeit am rechten Ort aufschlagen, um tatsächlich einen Effekt auf die Märkte zu haben. An einem anderen Tag hätte dasselbe Gerücht über einen Weidmann-Rücktritt womöglich DAX und Euro gar nicht unter Druck gebracht, sondern ihnen im Gegenteil sogar Auftrieb verliehen, weil, so hätte die Begründung lauten können, die EZB nun endlich ihren letzten notorischen Bedenkenträger verloren habe. Vielleicht hätte auch niemand das Gerücht ernst genommen, weil man sich gefragt hätte, warum denn um alles in der Welt Weidmann jetzt gerade das Handtuch werfe, wo er doch ursprünglich in den EZB-Rat berufen wurde, um dort den Platz seines zurückgetretenen Vorgängers Axel Weber einzunehmen und fortan die deutsche Position in der Eurokrise zu vertreten.

Interessant finde ich übrigens, dass man sich gerade im Aktienmarkt meist nur über diejenigen Gerüchte aufregt, in deren Folge die Kurse tatsächlich abstürzen. Kaum jemand findet etwas daran, wenn der DAX in Minutenschnelle ohne offensichtlichen Grund einfach mal ein, zwei Prozent abhebt. In diesem Fall, so könnte man einwenden, gäbe es ja auch längst nicht so viele Geschädigte, und wenn, dann träfe es ohnehin nur spekulative Leerverkäufer, denen dies sowieso recht geschähe. Auch dürfte sich niemand über die entgangenen Gewinne derjenigen aufregen, die aufgrund solcher Enten den rechtzeitigen Einstieg verpasst haben. Das sind ebenfalls Verluste, aber die sieht man nicht.

Und so bleibt der Wunsch, die Verbreiter von Gerüchten  in Finanzmärkten – sofern man deren Treiben überhaupt nachweisen kann – zu bestrafen, fragwürdig, wenn nicht gar wirkungslos. Denn Anleger und Investoren handeln ohnehin meistens Erwartungen, Hoffnungen oder gar Träume. Und nur ganz selten nackte Tatsachen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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