Märkte Wirtschaft

Immer wieder diese Überraschungen

am
31. Januar 2013

Ja, auch ich war ein wenig schockiert, als ich gestern erfahren musste, dass wir für die USA im vierten Quartal 2012 nicht wie erwartet 1,1 – 1,6 Prozent Wachstum verbuchen können, sondern stattdessen eine Schrumpfung des BIP von 0,1 Prozent verkündet wurde. Mindestens genauso sehr erstaunte mich, wie schnell die Ökonomen, die gerade noch kräftig danebengelegen hatten, etwa im Fernsehen – möglicherweise zur Verringerung kognitiver Dissonanzen – auf die Sondereffekte der jüngsten Quartalszahlen verwiesen. Etwa drastische Einschnitte bei dem Militärausgaben (die stärksten seit dem 3.Quartal 1972!) und, wahrscheinlich wegen des Hurrikan Sandy, deutlich gesunkene Lagerbestände. Viel lieber konzentrierte man sich auf die positiven Teile des BIP (gestiegene Hauspreise etc.) ohne die alles noch viel schlimmer ausgesehen hätte. Frei nach dem Motto: „Es wird keine Rezession geben“. Und nachdem der Offenmarktausschuss der US-Notenbank bezüglich der Wachstumsrisiken in ein ähnliches Horn stieß, ist für die meisten klar, dass der US-Wirtschaft eigentlich nichts passiert ist.

Abgesehen davon, dass etwa die Einschnitte bei den Militärausgaben nur einen Vorgeschmack auf das geben, was automatische Budgetkürzungen (Sequester), mit sich bringen können, frage ich mich, warum die Ökonomen häufig nicht in der Lage sind, diese angeblichen Sondereffekte in irgendeiner Weise angemessen ihre Prognosen zu berücksichtigen. Stattdessen sehe ich auf CNBC betroffene Gesichter und einen brüllenden Rick Santelli. Ja, es sind die gleichen Ökonomen, die in den kommenden Tagen wieder zu Vorträgen in Meetings und bei Kundenbesuchen der Banken ihre Prognosen und Strategien abgeben werden. Wahrscheinlich hat niemand von all diesen Experten in den vergangenen Monaten im Pentagon angerufen, um sich vielleicht über den Teil des US-Budgets ein klareres Bild zu verschaffen, der von Sparmaßnahmen am deutlichsten betroffen sein wird. Auch kontaktiert wohl kaum jemand stichprobenweise Unternehmen, um die Entwicklung bei den Lagerbeständen zu verifizieren.

 

Keine Schlamperei

Damit möchte ich keineswegs die Arbeit der Ökonomen als schlampig kritisieren. Sie tun wahrscheinlich alles, was angesichts ihrer personellen Ressourcen für eine gute ökonomische Arbeit in ihrer Macht steht. Diese Ressourcen reichen aber offenbar nicht aus und werden auch in den kommenden Jahren aufgrund der Sparmaßnahmen vieler Kreditinstitute kaum vergrößert werden. In einem derartigen Umfeld erstaunt es nicht, dass sich etwa die Arbeit eines G-20 Ökonomen mangels Zeit und Personal auf das Notwendigste beschränken muss. So ist es auch kein Wunder, wenn man sich in manchen Banken gar auf die Extrapolation bereits bestehender Wirtschaftstrends oder noch schlimmer, auf die Prognosen Dritter stützen muss.

Was den DAX angeht, bin ich in der glücklichen Lage, dass die Börse Frankfurt allwöchentlich die mittelfristig orientierten Marktteilnehmer direkt kontaktiert und sie nach der derzeitigen Stimmung befragt. Meine Analyse hierzu finden Sie an dieser Stelle, und wenn Sie auf der gleichen Seite den Reiter zur Detailanalyse wechseln, verrät Ihnen Gianni Hirschmüller nicht nur Kurserwartungen, sondern auch die beliebtesten und die zurzeit am stärksten von den Fondsmanagern gemiedenen Einzelwerte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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