Unfall ohne Folgen
Drei Wahlgänge mussten es sein, bis sich die Bundesversammlung für unseren neuen Bundespräsidenten Christian Wulff entschieden hatte. Und das Geschrei der Kommentatoren hinterher war groß: Nicht nur beschädigt, nein sogar schwer beschädigt sei Bundeskanzlerin Angela Merkel nun, war vielerorts zu vernehmen.
Natürlich ist die schier endlos anmutende Prozedur am gestrigen Tag nicht gerade als Glanzstück der Regierungskoalition zu bezeichnen. Dass im ersten Wahlgang alte Rechnungen beglichen werden mussten, war klar. Danach hieß es aus Koalitionskreisen im übertragenen Sinn: „Ihr Abweichler habt Euren Spaß gehabt, aber jetzt machen wir Ernst“. Von Corpsgeist und anderen Werten war die Rede. Und als auch noch nach dem zweiten Wahlgang kein Präsident gewählt war, glaubte vermutlich die Mehrheit der Beobachter an ihr Bauchgefühl.
Für manchen roch es schon nach einer Sensation: Der Super-Gau(ck)? Ja. Aber die Linken müssen mitmachen. „Denen ist alles zuzutrauen“, war beim Experten meines Lieblingssenders zu hören. Also für den ungeliebten Gegenkandidaten stimmen – auch wenn der schon immer kritisiert hat, was man heute noch verteidigt. Quasi als Rache für alle Benachteiligten in unserer Gesellschaft? Damit wäre die Regierungskoalition blamiert, wenn nicht erledigt gewesen. Und die Kanzlerin hätte womöglich ihren Sessel räumen müssen. Die hohe Politik, ein Dominospiel, meinten viele: Wenn der Wulff wackelt, dann kippt auch die Merkel um. Und mit ihr die ganze Koalition.
Doch das Leben ist kein Dominospiel. Auch wenn viele Menschen glauben, die Folgen ihres Handelns bis zum letzten fallenden Stein in der Kausalitätskette genau voraus berechnen zu können – das nennt man Kontrollillusion oder, weniger freundlich, eine Allmachtsfantasie.
Aber am Ende hat es Wulff doch geschafft, mit absoluter Mehrheit sogar. Und diejenigen, die ihn und Merkel schon für erledigt hielten, landeten auf dem harten Boden der Realität. Aber ein bißchen recht wollte man doch gehabt haben. Also musste die Kanzlerin als stark beschädigt gelten. Ist sie das? Schließlich hat sie doch ihren Kandidaten durchgesetzt. Und muss sie wegen des Beinahe-Debakels Konsequenzen fürchten? Fragt sich nur, welche.