Behavioral Living

Trugsimulator

am
25. November 2010

Allianz Global Investors, eine der größten Fondsgesellschaften der Welt, ist von den Erkenntnissen der Behavioral Finance so sehr beeindruckt, dass sie für diesen Bereich einen der führenden Experten, Shlomo Benartzi, unter Vertrag genommen und ihm die Leitung ihres Behavioral Finance Center übertragen hat. Dessen Aufgabe ist es, Finanzberater, Investoren und Sponsoren mit nützlichen Informationen und Ressourcen zu versorgen, damit sie bessere Finanzentscheidungen treffen können[i].

In diesem Zusammenhang stieß ich heute in der FAZ auf ein Interview mit Professor Benartzi [ii], in dem er zu Recht die Komplexität der Finanzprodukte beklagt. Um jedoch gute Investmententscheidungen treffen zu können, benötigten die Endverbraucher leicht zu verstehende Produkte, auch wenn die Experten sich für deren Entwicklung sehr vieler Details und Zahlen bedienten.

Außerdem geht Benartzi in diesem Interview auf die Risikobereitschaft der Kunden ein, wobei für ihn die zentrale Frage ist, welche Risiken ein Kunde zu tragen bereit ist, ohne dabei am Ende schlaflose Nächte zu haben. Und genau dafür hat der Professor eine Lösung parat, indem er die Risikobereitschaft der Kunden mittels eines Simulators testen möchte. Wie in einem Flugsimulator, in dem man ein Gefühl fürs Fliegen bekommen soll, werden die Kunden mit verschiedenen Marktsituationen konfrontiert. Also nicht nur mit steigenden, sondern auch mit fallenden Märkten, weil die Menschen dazu tendierten, zu Zeiten hoher Kurse zu kaufen und bei niedrigen Kursen zu verkaufen, so der Wissenschaftler. Genau genommen vergleicht Benartzi den Kauf eines Investmentprodukts mit dem Kauf eines neuen Autos: Ein Kunde sollte zuerst eine Testfahrt machen, damit er ein Gefühl für das Auto bekommt.

Allerdings hat diese Idee einen Haken. Denn es gibt einen guten Grund, warum Autoverkäufer potentielle Kunden dazu ermutigen, zuerst einmal eine Testfahrt zu machen. Am besten übers Wochenende. Denn dieses großzügige Angebot geschieht nicht ohne Absicht: Es erhöht die Chance eines Verkaufs. Und zwar wegen des so genannten Besitztumseffekts (ein Phänomen aus der Behavioral Finance, das dem Professor sicherlich nicht entgangen sein dürfte[iii]). Denn Menschen bewerten Verluste stärker als Gewinne, selbst wenn deren Betrag identisch sein sollte.

Und so nimmt der Kaufinteressent eines Autos bei einer Testfahrt den vorübergehenden Besitz des Wagens als Gewinn und dessen Rückgabe als Verlust wahr. Obwohl die Spielregeln für diese Testfahrt von vornherein klar sind, wird der Verlust stärker als der vorherige Gewinn empfunden – etwas was wir nicht mögen. Der Autohändler wird natürlich gerne dabei behilflich sein, uns von diesem unangenehmen Gefühl zu befreien, indem er uns einfach ermutigt, das Auto zu kaufen. Sobald man also etwas in Empfang nimmt, erhöht sich dessen Wert, nur weil eine Rückgabe desselben Gegenstands als Verlust wahrgenommen würde.

Eine Testfahrt mit einem Investmentprodukt (das in der Vergangenheit natürlich erfolgreich gewesen ist, weil Allianz Global Investors wohl kaum Simulationen mit einem Produkt anbieten dürfte, dessen Performance in der Vergangenheit Verluste aufgewiesen hat), erhöht also am Ende die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand kaufen wird. Zumindest was das betrifft, erweist sich die Arbeit des Behavioral Finance Center als äußerst nützlich – für Allianz Global Investors selbst, nicht jedoch für dessen Investoren.


[i]http://mediarelations.allianzgi.com/en/PressReleases/archive/Pages/AllianzGIlaunchesBehavioralFinanceCenter.aspx

[ii] Risikobereitschaft wie Fliegen simulieren Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. November 2010

[iii] Der Begriff des Besitztumseffekts geht übrigens auf Benartzis früheren Research-Kollegen Richard Thaler zurück

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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