Gesellschaft Politik Wirtschaft

Steuersenkung? – Nein, Danke

am
7. November 2011

Und die Geschichte wiederholt sich doch, zumindest was die Steuerpolitik in Deutschland betrifft. Wieder einmal, wie bereits vor zwei Jahren, denkt die Bundesregierung über eine Steuersenkung nach. Damals war man dann aber bald zu der Einsicht gelangt, dass das Geld dafür gar nicht reiche. Jetzt scheint der Staat indes mit 16 Milliarden mehr Steuereinkünften zu rechnen. Überhaupt sieht die ökonomische Situation hierzulande insgesamt noch recht positiv aus. Allein die Ängste der Bürger sind gegenüber dem Januar 2010 sicherlich noch größer. Damals hatte eine große Mehrheit deutscher Bundesbürger (vgl. ARD -„Deutschlandtrend“) wegen der sich abzeichnenden europäischen Schuldenkrise nichts von Steuersenkungsplänen gehalten.

Trotz aller Unsicherheiten kann man zurzeit den Eindruck gewinnen, die Bundesregierung zerbreche sich vor allem darüber den Kopf, wie sie denn nur den Geldsegen unter die Bevölkerung bringen könne. Eine Option wäre dabei die „Glättung“ im Steuertarif, um die „kalte Progression“ zu mildern. Viel beliebter scheint unter den Bürgern hingegen die Senkung des Solidaritätszuschlags zu sein, was psychologisch auch verständlich ist. Schließlich war bei dessen Einführung nach der deutschen Wiedervereinigung vollmundig versprochen worden, dass er nach wenigen Jahren wieder abgeschafft würde. Außerdem empfindet der Steuerzahler diesen Zuschlag als separates mentales Verlustkonto, das zur Steuerlast noch zusätzlich hinzukommt. Aber der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sinnt auf anderes. So hat er sich unlängst für eine Halbierung der Stromsteuer ausgesprochen. Da kann man fast sicher sein, dass das Geld vermutlich gar nicht erst bei den Verbrauchern ankommt. Abgesehen davon, dass die Versuchung für die Stromkonzerne groß sein dürfte, im Gegenzug die Preise zu erhöhen, um selbst diesen Bonus zu kassieren, würde diese Vergünstigung schlichtweg ein falsches Signal setzen. Denn Energie ist auch im Sinne der Nachhaltigkeit immer noch zu billig.

Oder glaubt man in der Politik etwa, man könne die Bürger mit einem kleinen Gewinn besänftigen, damit ihn seine Ängste vor einer drohenden Zuspitzung der Schuldenkrise und der damit einhergehenden möglichen Inanspruchnahme von EFSF-Garantien nicht überwältigen? Das wäre doch, so hofft man anscheinend, ein stärker wirkendes Beruhigungsmittel als die Reduktion des gigantischen Schuldenbergs um läppische fünf bis sechs Milliarden Euro. Doch die „schwäbische Hausfrau“, als die sich die amtierende Kanzlerin so gerne sieht, würde sicherlich anders handeln. Stattdessen fühlt man sich an einen hoch verschuldeten Verbraucher erinnert, der, wenn er zufällig von irgendwoher eine kleine Summe Bargeld bekäme, auch im Leben nicht daran dächte, damit einen Teil seines Kredites zu tilgen. Die deutsche Politik hat sich fraktionsübergreifend und über Jahrzehnte hinweg immer wieder zu diesen kleinen Geschenken ans Wahlvolk hinreißen zu lassen, was letztlich dazu geführt hat, dass der Schuldenberg diese gewaltigen Ausmaße annehmen konnte. Vielleicht sollte man es mit Albert Einstein halten, der einmal gesagt hat: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“.

 

P.S: Die Bundesregierung hat am Sonntagabend nach Fertigstellung dieses Beitrags eine Entlastung der deutschen Bürger um 6 Mrd. Euro ab 2013 bzw. 2014 beschlossen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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