Gesellschaft Wirtschaft

Schuld und Schulden

am
26. November 2012

Hatte kürzlich wieder einmal Gelegenheit, in der Frankfurter Heiliggeistkirche eine Diskussionsrunde in der Reihe EKHN-Forum verfolgen zu dürfen. Dieses Mal ging es um das Thema „Schuld und Schulden“, wobei an der Zusammensetzung dieser äußerst informativen Gesprächsrunde, geleitet von Dr. Rainer Hank, Ressortleiter Wirtschaft und Finanzen bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, vor allem reizte, dass Ökonomen mit Theologen an einem Tisch saßen[1]. Doch es ging hier keineswegs um eine Begegnung von Gewinnstreben und Moral. Vielmehr waren sich alle Beteiligten überraschenderweise in ihrer positiven Haltung zur Schuldenthematik einig. Fehlte eigentlich nur noch ein Verhaltensökonom.

Bereits bei den einführenden Worten von Rainer Rank, der das Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger beleuchtete, wurde ich hellhörig. So vertrat Hank die Auffassung, dass beide Partner bei der Vergabe eines Kredits grundsätzlich optimistisch seien – der Gläubiger, weil er hofft, eine gute Rendite zu erhalten und sein Geld eines Tages zurückzubekommen. Und der Schuldner, weil er mit dem geliehenen Geld etwas Neues (an)schaffen kann und davon ausgeht, der Mehrwert seines Investments[2] übersteige die Kosten seiner Finanzierung. Mir fiel intuitiv das Phänomen der „Overconfidence“, jenes häufig zu beobachtende überhöhte Vertrauen in eigenen Fähigkeiten, ein. Denn aus den Finanzmärkten weiß man, dass (zu) viele Transaktionen nur deshalb zustande kommen, weil sowohl Anbieter als auch Nachfrager überzeugt sind, klüger als ihr Kontrahent zu sein. Jeder glaubt, mit seiner Entscheidung, etwas zu diesem Zeitpunkt zu kaufen oder es zu verkaufen, richtig zu liegen. Und das könnte auch für Gläubiger und Schuldner gelten. Ob es demzufolge womöglich viel mehr Schulden als nötig gibt?

 

Wann die Schuld anfängt

Im Verlauf der Diskussion, bei der es vor allem auch darum ging, wann die Schuld bei der Schuldenthematik ins Spiel kommt, gefiel mir die Ansicht von Jan Pieter Krahnen ganz besonders gut, der hervorhob, Schuld im moralischen Sinne entstünde erst bei einer Überschuldung. Wobei man natürlich unterscheiden müsse, ob es sich um eine durch Schicksalsschlag entstandene oder eine eigenverantwortliche oder gar absichtlich herbeigeführte Überschuldung handelt. Im ersten Fall besteht natürlich keine Schuld, aber wenn Gläubiger oder Schuldner, möglicherweise auch beide, die Überschuldung erkennen können, so der Ökonom, entstünde das, was man als Schuld bezeichnet. Vor allen Dingen, wenn man vielleicht in stillschweigender Übereinkunft schon bei Abschluss eines Kreditgeschäfts einen unsichtbaren Dritten mit ins Kalkül einbezieht, der dann am Ende für die Überschuldung aufkommen muss, ähnlich der Rolle des Staats mit seinen Rettungsschirmen in der derzeitigen Finanzkrise.   

Mehr noch forderte Krahnen, dass die Bedingungen, unter denen eine Überschuldung erlaubt sein könnte, von vornherein festgelegt werden. Damit komme der Frage, ob die Überschuldung kontrollierbar war oder auf externe unkontrollierbare Ereignisse zurückzuführen gewesen sei, eine besondere Bedeutung zu.

 

Geld auf den Stundenplan!

Kontrolle auszuüben ist aus Sicht der Verhaltensökonomie gleichbedeutend mit der Notwendigkeit, sich zu informieren – wer sich nicht informiert, kann im Zweifel auch nicht kontrollieren. Demzufolge sehe ich nicht nur den schlecht informierten Gläubiger in der Schuld stehen. Vielmehr gilt dasselbe auch für einen betroffenen Dritten, dem womöglich Gläubiger und Schuldner gemeinsam eine faule Schuld aufdrücken wollen. Dieser Dritte ist etwa bei der Eurokrise der Bürger, der im Notfall als Bürge in Anspruch genommen werden muss. Oder wir alle über den Staat.

Wer sich nicht informiert, macht sich also irgendwie mitschuldig. Aber wohin man auch schaut – die Wirtschafts- und Finanzbildung ist schlecht. Konsumenten haben Probleme mit Prozentrechnung und dem Zinseszinseffekt. Viele Bürger verstehen nicht, was Inflation ist, oder wie sich Preise durch Angebot und Nachfrage bilden und verändern. Kurzum: Viele haben keinen blassen Schimmer. Einige haben auch einfach nur keine Lust, sich mit Geld und Finanzen auseinanderzusetzen, andere regelrecht Angst davor. Ausbildung tut Not und zwar am besten schon in der Schule als eigenes Fach auf dem Stundenplan! Dabei kommt auch den Wirtschaftsmedien eigentlich eine enorm wichtige Funktion zu: Sie müssen, möglichst unabhängig, aufklären und informieren. Wer jedoch glaubt, ausgerechnet Wissensvermittlung und gute Informationen in Geldangelegenheiten seien kostenlos, wer unaufgeklärt durch die Welt geht, trägt gewissermaßen selber die Verantwortung dafür. Wie auch für die Folgen.



[1] Die weiteren Teilnehmer des Panels waren die Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck, der evangelische Theologe Professor Dr. Klaas Huizing und der Direktor des Center for Financial Studies, Professor Dr. Jan Pieter Krahnen

[2] Aus Sicht eines Konsumenten besteht dieses „Investment“ im vorgezogene Verbrauch eines Gutes

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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