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8. September 2010

Als ich davon erfuhr, wie Michael O’Leary, Chef des Billigfliegers Ryanair, ohne mit der Wimper zu zucken ankündigte, er wolle in Zukunft seine Flotte ohne Co-Piloten fliegen lassen, lief es mir eiskalt über den Rücken. Nicht, dass bei einem meiner Flüge jemals ein Pilot eine Herzattacke erlitten oder die Maschine wegen eines ähnlichen Umstandes durch den zweiten Mann auf die Erde gebracht hätte werden müssen. Vielmehr sind mir sofort die Flugkatastrophen-Filme aus den 70er Jahren durch den Kopf geschossen, wo der Co-Pilot einspringen musste, weil der Kapitän kurzfristig ausgefallen war.

Doch jetzt zur rationalen Seite: Die meisten Menschen tendieren bekanntlich dazu, kleine Wahrscheinlichkeiten – im Guten wie im Schlechten – zu stark zu bewerten. Eine Neigung, von der Lotteriegesellschaften und Versicherungen tagtäglich profitieren. Vermutlich schätze auch ich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Pilot ausgerechnet bei einem meiner einstündigen Inlandsflüge ein Herzkasperl erleidet, zu hoch ein. So gesehen mag es irrational erscheinen, sich über Herrn O’Leary aufzuregen, während ich den lieben langen Tag über Dinge tue, die statistisch für meine Gesundheit viel gefährlicher sein mögen. Mir ist auch bewusst, dass sich die Streichung des Co-Piloten wie einen persönlichen Verlust verbuche. Hätte ich andererseits auch auf die Einführung eines Co-Piloten ähnlich stark reagiert, wenn es seit Beginn der Luftfahrt immer nur einen Piloten gegeben hätte? Vermutlich nicht.

Vieles spricht also dafür, dass ich und viele andere auf Herrn Learys Ankündigung überreagiert haben. Und genau das könnte der Ryanair-Chef  umgehend zu seinem Vorteil ummünzen. Denn der Billigflieger ist für seine Aufpreise ohnehin schon berüchtigt.  Angefangen bei der Aufgabe von Reisegepäck bis hin zur Extragebühr bei Zahlung per Kreditkarte. Warum nicht noch eine Co-Pilotenabgabe erheben?

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1 Kommentar
  1. Antworten

    Horst Schmidtke

    11. September 2010

    Die Co-Piloten auf Kurzstrecken halte ich für ebenso überflüssig, wie einen zweiten Lockführer im ICE. Eher wird wohl der Ausschreibungssieger bei der Wartung an der falschen Stelle sparen und dadurch einen Absturz verursachen, als dass ein Pilot einen Herzanfall erleidet. Und falls doch, hat man doch den Autopiloten bzw. ist ausgehend von diversen Katastrophenfilmen doch zumeist ein Pilot an Bord, der dann übernehmen könnte.

    Besser wäre wohl, statistisch gesehen, LKW mit zwei Fahrern zu besetzen, da deren Unfallhäufigkeit gefühlt im Welten höher liegt.

    Es gibt nun einmal keine absolute Sicherheit und man sollte bei der fahrt im Auto/ICE oder dem Flug, ob billig oder mit dem Kranich immer bedenken, dass die benutzen Systeme immer eine Aufsummierung der Leistungen der jeweiligen Ausschreibungssieger darstellt. Die PKW-, ICE- und Airbus-fragmente liefert nun einmal der preiswerteste bzw. vielfach der billigste. Der Kunde bucht gezielt den Billigsten und sollte er vom Himmel fallen, bucht die Anverwandtschaft den Bestattungsdiscounter. So ist es nun einmal in einer Marktwirtschaft wie der deutschen. Und ob ein Pilot nun wie ein Fürst, wie beim Kranich oder wie ein besserer Kellner, wie bei manchem Billigflieger entlohnt wird, scheint auch keinen messbaren Einfluss auf Sicherheit und Service zu haben. Der Lufthansa-Adel fliegt doch ebensowenig besser für sein Gehalt, wie ein Lehrer nach einer üppigen Gehaltserhöhung nicht besser unterrichtet. Der Lufthanseat hat nur leider analog dem Lokführer eine gewisse Schlüssel- bzw. Erpressungsposition, um seine Forderungen durchzusetzen. Aus eben diesem Grund verdient ein verbeamteter Briefträger im Osten mehr als ein Dipl.-Ing. im ostdeutschen mittelständischen Maschinenbau. Aber die Briefträge sterben wie die Copiloten und Lufthanseaten über kurz oder lang aus und entsprechend stellt sich bei den dann gezahlten Gehältern die Frage nach dem Copiloten nicht mehr, da Pilot & Co. zu Hause sitzen, Asiaten das Ruder fest in der Hand halten und für vergleichsweise Trinkgelder fliegen, so wie sie heute in Polen Autobahnen bauen…

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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