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30. September 2011

Lange ist es noch nicht her, dass ein Händler einer Investmentbank einen Riesenverlust in Milliardenhöhe produziert hat. Passend zu diesem Desaster haben jetzt Wissenschaftler  der Universität Sankt Gallen das Verhalten von 27 Händlern untersucht und dieses mit den Resultaten einer bereits zuvor veröffentlichten Studie über 24 Psychopathen in deutschen Hochsicherheits-Kliniken sowie mit einer gleich großen Kontrollgruppe[1] verglichen. Das Ergebnis ist erschreckend: So kamen die Leiter der Forschungsgruppe, Thomas Noll und Pascal Scherrer, zu dem Ergebnis, dass sich die Händler viel rücksichtsloser, egoistischer und weniger kooperativ als die Psychopathen und die Teilnehmer der Kontrollgruppe gerierten. Noch verblüffender  fanden die Wissenschaftler, dass die Händler bei der Performance etwas schlechter abschnitten als die Psychopathen. Jedoch nur bei den absoluten Gewinnen. Bei der Maximierung der relativen Profite lagen sie indes vorn. Thomas Noll erklärte dazu, für ihn habe es etwas sehr „Destruktives“, wenn man den relativen Gewinn nur dadurch maximiere, dass man den absoluten Profit des Spielpartners verringere, so als würde man das Auto des Nachbarn, der die gleiche Marke fahre wie man selbst, mit dem Baseballschläger zertrümmern, „um selbst besser dazustehen“.

Diese Erkenntnis ist richtig, sollte aber nicht erstaunen. Auch wenn die Standardökonomie nach wie vor davon ausgeht, dass Menschen ausschließlich von Rationalität und Eigeninteresse geleitet sind und allein ihren ökonomischen Nutzen maximieren wollen. Ein Homo oeconomicus schert sich in der Tat nicht darum, wie sich die Menschen in seinem Umfeld fühlen. Weder im Positiven noch in Negativen. So gesehen dürften die Psychopathen, deren Persönlichkeit man stark vereinfacht als empathie- und verantwortungslos bezeichnen könnte, diesem Kunstmenschen sogar etwas näher stehen als die Händler.

Und was diese betrifft, hat die Behavioral Finance schon lange vor dieser Studie eindrucksvoll gezeigt, dass sie (übrigens wie andere Menschen auch) meist eben nicht ihren absoluten Gewinn maximieren. Denn: Menschen bewerten relativ. Der Umstand, dass jeder sich permanent mit anderen vergleicht – etwas, das die klassische Ökonomie bis heute ignoriert – führt dazu, dass die meisten sogar bereit wären, auf Gewinne verzichten, nur um anderen zu schaden. Sogar eigenes Geld würden sie womöglich nur zur reinen Schadenfreude aufwenden[2]. Natürlich möchte jeder gerne eine Million Euro haben. Aber noch wichtiger ist es ihm häufig, dass seine Freunde, Nachbarn oder Bekannten, also alle Leute, mit denen er sich vergleicht, keine Million besitzen. So wurde in einem Experiment gezeigt, dass sich viele Menschen, wenn sie die Wahl zwischen zwei gleich teuren Grundstücken haben,  gegen das größere Areal entscheiden, sofern die Nachbarn ringsum noch größere Grundstücke besitzen. Dass sie stattdessen das kleinere Grundstück bevorzugen,  scheint auf den ersten Blick zwar  ökonomisch wenig sinnvoll zu sein, doch bietet dieses in ihren Augen den entscheidenden Vorteil, dass es das großflächigste in der ganzen Straße ist.[3]

So sollte es also nicht verwundern, wenn die Tendenz zur Maximierung des relativen Gewinns bei Händlern besonders stark ausgeprägt ist. Schließlich ist ihre Belohnung ebenfalls relativ: Je mehr sie aus dem gemeinsamen Bonuspool bekommen, desto weniger erhalten die anderen.



[1] Spiegel 39/2011 vom 26.9.2011

[2] Zizzo, D. J. & Oswald, A. (2001): Are People Willing to Pay to Reduce Others’ Incomes? Annales d’Economie et de Statistique, No. 63-34, S. 39-65

[3] vgl. auch Frank, Robert H.(2007): Falling Behind: How Rising Inequality Harms the Middle Class, (Aaron Wildavsky Forum for Public Policy) University of California Press

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4 Kommentare
  1. Antworten

    Sandro Valecchi

    6. Oktober 2011

    Wann haben wir damit begonnen, die Übersicht zu verlieren? „Margin Call“, die Abgründe der Finanzkrise und das Ende einer Investment-Bank:

    Das kritische Hollywood mit Anspruch auf Qualität und „True Story“ hat sich dem Fanal um das Ende einer Investmentbank-Bank im Höhepunkt der internationalen Banken- und Finanzkrise gestellt und Realität mit filmischer Darbietung gelungen verknüpft. Die Realität: Am Wochenende vom 12. bis 14. September 2008 besiegeln in New York die mächtigsten Finanzführer der Welt das Ende der angeschlagenen Investmentbank Lehman Brothers. Anfangs ahnte niemand, dass sie damit die Weltwirtschaft in den Grundfesten erschüttern werden. Richard Fuld, CEO und damit erster Mann bei Lehman, hatte die Lage völlig verkannt und in entscheiden – wirklich existenziell wichtigen Momenten – völlig falsch gehandelt. Der Film „Margin Call“ thematisiert die Finanzkrise des Jahres 2008 und knüpft mit seinen Charakterdarstellern dort an, wo die Mitarbeiter und Entscheider getriebene der Krise wurden. Im Focus der Kameraführung stehen die letzten 24 Stunden vor der objektiv unabwendbaren Katastrophe. Der Analyst Peter Sullivan stellt fest, dass die Bewertungen der Hypotheken seiner Investmentfirma ganz erheblich fehlerhaft, mit sog. Toxischen Papieren ohne hinreichende Sicherheiten überladen sind und die Investment-Bank am Rand des Ruins steht. Die Verantwortlichen der Firma, Buchalter Sam Rogers (gespielt von Charakterdarsteller Kevin Spacy), Jared Cohen, Sarah Robertson und John Tuld (mit klarer Anspielung auf Lehman-Chef Fuld, gespielt von Jeremy Irons) beschließen, diese „toxischen Papiere“ abzustoßen und bringen damit den Stein ins Rollen, der für die internationale Finanzwelt und letztlich auch für sie selbst verheerende Folgen hat.
    In der Realität stritten Richard Fuld (Lehman) und Henry Paulson (US-Finanzminister) über das Schicksal der Investment Bank Lehmam Brothers. Als seinen „Hauptfeind“ betrachtete Fuld den damaligen US-Finanzminister Henry Paulson. Paulson war lange Zeit der Chef des ewigen Lehman-Konkurrenten Goldman Sachs und damit gewissermaßen der Goldstandard im Bereich des Investmentbanking. Nun sollte exakt eben dieser Paulson in seiner Funktion als US-Finanzminister über das Schicksal der Bank seines alten Rivalen entscheiden. Es war der Showdown zweier Giganten der Wall Street. Ein Zeitzeuge, Larry McDonald, betrachtet dies als den entscheidenden Moment der Finanzgeschichte: „Wir haben wirklich gehofft, dass Mr. Fuld dem Finanzminister die Hand reicht, und Frieden schließt.“
    Doch Richard Fuld verkennt den Ernst der Lage und verspekuliert sich im wahrsten Sinne des Wortes abermals. „Das Treffen verlief gar nicht gut. Offen gesagt, Mr. Fuld sagte so etwas wie: Ich sitze schon viel länger im Sessel, als Du in Deinem als Minister. Ich fahre das Risiko zurück, wie ich es will.’ Also, ein absoluter Testosteron-Moment. Wirklich keine gute Voraussetzung für alles Weitere.“

    Die Realität: Die Wall-Street-Bosse hätten sich einigen müssen. Das Problem: Die beiden wichtigsten Figuren im Zentrum der Krise sind alte Rivalen und konnten sich persönlich nicht ausstehen.

    Der Thriller „Margin Call“ ist angelehnt an den Handel von Terminkontrakten. Der Vorteil liegt darin, dass man mit Kapital agieren kann, das man genau genommen überhaupt nicht zur Verfügung hat. Nur ein kleiner Teil des eingesetzten Kapitals muss tatsächlich auf dem Konto des Brokers („Margin Account“) hinterlegt sein. Entwickelt sich das Geschäft jedoch gegen den Trader, kann es zum gefürchteten „Margin-Call“, dem Anruf des Brokers zur Erhöhung „der Margin“, kommen: man muss echtes Geld auf das Konto nachschießen um zu verhindern, dass die offenen Positionen zwangsaufgelöst werden.
    Als „Margin Call“ (auch „Variation Margin Call“ oder „Performance Bond Call“ definiert) wird die Nachschusspflicht bezeichnet, die bei Verlust der festgelegten Mindestdeckungshöhe des „Margin Accounts“ angefordert wird. Diese Pflicht zum Nachschuss dient dem Broker als Sicherheit, wenn die vorher geleisteten Einschüsse aufgebraucht sind, also beispielsweise bei einem entstandenen buchmäßigen Verlust zu Lasten des Anlegers. Zwar ist ein gewisser Spielraum beim „Margin Account“ vorhanden, jedoch darf der Wert nicht unter die vorgegebene und festgelegte „Maintenance Margin“ fallen. Falls der Aufforderung zum Nachschuss nicht unverzüglich nachgekommen wird, ist der Broker berechtigt, die Deckung des Kontos auch gegen die Interessen des „Traders“ durch die Schließung der Position herbeizuführen. „Eine hoch-spekulative Verfahrensweise“, erklärt Analyst Sandro Valecchi: „letztendlich ist sicherzustellen, sofern man „auf Margin“ Handel treiben will, dass im Fall eines „Margin Calls“ noch genügend Reserven vorhanden sind, auf die in kürzester Zeit zurückgegriffen werden können.

    Die Aussage des Film ist in einer rhetorischen Frage verfasst: „Wann haben wir damit begonnen, die Übersicht zu verlieren?“ Die unausgesprochene Antwort lautet: „Der Markt kann nicht beherrscht werden.“
    V.i.S.d.R.
    Sandro Valecchi, Analyst, 10555 BERLIN

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      6. Oktober 2011

      Und wenn Sie jetzt noch den Bezug zu unserem Blogbeitrag herstellen, dann wäre es ein perfekter Beitrag 😉

  2. Antworten

    sunny

    7. Oktober 2011

    Hallo Herr Valecchi,

    ich habe mir den Kinofilm „Margin Call“ letztes Wochenende angesehen – tja, so sind sie – die jungen karriereorientierten Investmentbanker mit ordentlich Testosteron im Hintern – Vor der Krise war ihnen der Rest der Welt „scheiß“egal – während der Krise hatten sie Angst um ihren eigenen Job – und für den verbliebenen Rest der Zockerbande ist nach der Krise auf jeden Fall wieder vor der Krise – Alles relative Psychopathen – diese Banksters …

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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