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25. September 2013

Nach den jüngsten Bundestagswahlen schlugen mancherorts die Wogen hoch, weil zwei Parteien, die FDP und die AfD, nur knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheitert waren. Wenn das nur einer Partei passiert wäre, hätte man sich vermutlich nicht so stark darüber aufgeregt. Aber jetzt, da es gleich zwei getroffen hat, sind viele Menschen ins Grübeln gekommen. Mit dem Fazit, es sei undemokratisch, wenn, wie bei dieser Wahl geschehen, gut 15 Prozent aller Wählerstimmen unter den Tisch fallen und deshalb nicht im Bundestag repräsentiert sind. Die Konsequenz: Man solle doch lieber eine 3-Prozent-Hürde einrichten, weil diese Zahl eher der heutigen Entwicklung der politischen Landschaft in Deutschland Rechnung tragen würde – im Moment zumindest.

Nun mag es für eine Neufestsetzung der Eintrittshürde in den Bundestag gute Argumente dafür und dagegen geben. Gemessen am britischen Wahlrecht, wo einzig der Gewinner eines Wahlkreises den Weg ins Unterhaus findet und somit theoretisch sogar weit mehr als 50 Prozent aller Stimmen unter den Tisch fallen können, ist das deutsche Wahlrecht doch gar nicht so schlecht. Vielleicht wurde vor vielen Jahrzehnten die 5-Prozent-Hürde tatsächlich willkürlich gewählt. Aber rechtfertigt dies eine genauso willkürliche Änderung dieser Grenze auf 3 Prozent? Vielleicht würden bei einer entsprechenden Anpassung bei einer Wahl in der Zukunft womöglich gleich drei oder vier Parteien an einer 3-Prozent-Hürde ähnlich knapp scheitern.

 

Größere Fußballtore

Vielleicht sollten wir auch einmal daran denken, dass die Neuverschuldungsgrenze in der Eurozone mit 3 Prozent einfach zu niedrig ist. Eine Zahl, die auch einmal willkürlich von einem deutschen Finanzminister ins Spiel gebracht wurde, zu einer Zeit, als es noch keine Krisen gab, die Welt noch in Ordnung schien. Vielleicht sollten wir angesichts der vielen Pfostenschüsse in der Fußball-Bundesliga die derzeit 7,32 Meter breiten Tore um ein paar Zentimeter vergrößern. Dann hätten wir viel weniger frustrierte Stürmer, die sonst einfach zu sehr vom Pech verfolgt würden.

Spaß beiseite. Fixe Grenzen und Hürden, haben die Wirkung eines Schalters, sobald sie überschritten werden. Das mag durchaus problematisch erscheinen, ist aber letztlich der Versuch, Regeln und eine gewisse Disziplin aufrechtzuerhalten. Wenn solche Grenzen manchmal vordergründig nicht zu funktionieren scheinen, sind wir jedoch viel zu schnell bei der Hand, sie zu verändern. Klappt es mit einem ökonomischen Modell nicht mehr, wird anhand der neuesten Erkenntnisse mancherorts einfach so lange daran herumgeschraubt, bis es wieder passt. Allerdings nur ex post, im Nachhinein, womit auch nur die Vergangenheit „repariert“ wird. Kein Wunder, wenn solche adjustierten Modelle in der Zukunft wieder nicht gut funktionieren.  

Auch kann ich mich daran erinnern, wie ein Devisenhändler sich einmal einen 3-prozentigen Stopp-Loss setzte und wegen ein paar Stellen unglücklich aus seiner Position geworfen wurde. Das nächste Mal werde er aus seinem Fehler lernen, schwor er sich. Er erhöhte sein Verlustlimit vorsichtshalber auf 4 Prozent und – Sie ahnen es – er wurde abermals ganz unglücklich ausgestoppt. Die Konsequenz? Er benutzte gar keinen Stopp-Loss mehr, erlitt irgendwann einen Totalverlust.

Hoffentlich müssen wir das nicht eines Tages von der Demokratie behaupten, weil es zum Bundestag keine Eintrittshürde mehr gibt.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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