Behavioral Living Marketing

Pandoras Päckchen

am
22. Mai 2013

Als ich gestern in meinen Briefkasten blickte, staunte ich nicht schlecht. Neben all den Zeitungen vom Pfingstwochenende fand ich ein Päckchen vor, das aussah wie eine Pralinenschachtel. Voller Neugier schüttelte ich es sachte – kein Rascheln. Ich blickte auf den Absender. Es war American Express, der Platinum-Service. Wenn die ein so großes Päckchen schicken, kann dies nichts Gutes bedeuten, dachte ich mir. Aber zunächst sollte ich mich irren. Ein dicker gebundener Prospekt lag obenauf, als ich die Schachtel inspizierte. Mit neuen Vergünstigungen und neuen Partnern von Amex. Naja, ganz schön viel Papierverschwendung, dachte ich mir. Abgesehen von der Umweltbelastung fragt man sich natürlich, wer solche dicken Hochglanzprospekte am Ende bezahlen muss.

Mit detektivischem Spürsinn untersuchte ich weiter den schmalen Pappkarton und fand schließlich ein kleines Heftchen mit Informationen zu den Versicherungen des Kreditkarteninstituts. Intuitiv wusste ich: Als Platinkunde hatte ich mich wahrscheinlich deutlich verschlechtert. Und ich sollte Recht behalten. Das Heftchen führte zahlreiche Neuerungen an, die ich aber keine Lust hatte, im Einzelnen durchzulesen. Beim Überfliegen erfuhr ich dennoch, dass die Kunden im Schadensfall von nun an mit einer deftigen Selbstbeteiligung zur Kasse  gebeten werden. Mehr noch: In Zukunft werden im Gegensatz zu früher viele Versicherungsleistungen an den Einsatz der Karte gebunden sein. Entnervt legte ich den Prospekt beiseite.

 

Kein Happy End

Stattdessen konzentrierte ich mich aufs Wesentliche, auf das Anschreiben von Amex. Und das begann mit der Aufzählung etlicher neuer Vorteile, die sich mir nicht wirklich erschließen wollten. Gleichzeitig wurde das Thema der veränderten Versicherungsbedingungen erneut gestreift. Ich hatte richtig gelesen: Die Leistungen werden sich in Zukunft verschlechtern. Naja, dachte ich, ein richtig guter Marketingbrief endet doch normalerweise mit etwas Positivem. Denn eine Leidensepisode (etwa die angekündigte Verschlechterung eines Services) wird für Menschen erträglicher, wenn sie am Ausgang des Briefes noch etwas Positives erfahren (Peak-End-Effekt). Doch der Brief endete mit einer weiteren Grausamkeit, einem weiteren Verlust. Die Jahresgebühr wird auch noch um 20 Prozent erhöht, musste ich erfahren. Einziger Trost: Immerhin sei die Kündigung des Kreditkartenvertrages bis zum 1. August 2013 kostenfrei, belehrte mich zum Schluss das Schreiben. Das nenne ich nachlassenden Schmerz. Oder „gelungenes“ Marketing. Statt Pralinen hatte Amex mir offenbar Pandoras Box geschickt. Schlimmer: Ein Päckchen, in dem noch nicht einmal als Einziges die Hoffnung geblieben war.

 

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv