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Neidgesellschaft und Schwarzgeldgauner

am
8. Mai 2013

Immer häufiger bringt die Jagd auf Steuerhinterzieher neue prominente Namen ans Tageslicht. Die Bevölkerung ist mit Recht empört, und Politiker von der Mitte bis links machen sich solche Geschichten für den bevorstehenden Wahlkampf zunutze. „Keine Gnade für Steuerhinterzieher!“, hallt es durch Deutschland. Auch von Moral ist die Rede und von der Bestrafung der Schuldigen, sei es nun ein im Rampenlicht stehender Uli Hoeneß oder ein zurückgezogen lebender Maler und Bildhauer wie Georg Baselitz. Natürlich könnte ich mich an dieser Stelle auch über die Scheinheiligkeit derjenigen auslassen, die einerseits die Steuersünder anprangern, es andererseits aber völlig in Ordnung finden, günstige Dienstleistungen gegen Barzahlung und ohne Rechnung in Anspruch zu nehmen. Aber darum geht es mir nicht. Vielmehr ist mir aufgefallen, dass sich bei vielen Menschen unter dem Deckmantel der Moral doch eine gewisse Häme, wenn nicht gar Schadenfreude abzeichnet, die sich in Hohn und Verachtung gegenüber denen ausdrückt, die derzeit von der Lichtgestalt zum Schwarzgeldgauner mutieren.

Wo Schadenfreude herrscht, kann der Neid nicht weit sein, habe ich mir gesagt. Neid, das schmerzhafte Gefühl, das ein Mensch erlebt, wenn er erfährt, dass ein anderer etwas hat – sei es ein Gegenstand, eine Eigenschaft oder ein bestimmter Status –  was er selbst für erstrebenswert hält, aber eben nicht besitzt. Und das man ihm am liebsten sogar wegnehmen möchte, weil man sich unterlegen fühlt[1]. Dieses peinliche Gefühl eigener Minderwertigkeit ist es auch, weswegen viele Menschen es nicht gerne zugeben, wenn sie auf jemanden neidisch sind, und auch Schadenfreude offen und ungehemmt zu äußern gilt nicht gerade als salonfähig[2].

 

Drang nach sozialem Vergleich

Neid resultiert aus dem permanenten Wunsch der Menschen – und dieses Bedürfnis ist ein universales und kein spezifisch deutsches –, sich mit anderen vergleichen zu wollen, um den eigenen Status in der Gesellschaft zu ermitteln. Deswegen spielen für viele Menschen Positionsgüter, über die ich bereits an anderer Stelle geschrieben habe, eine so wichtige Rolle. Positionsgüter sind Ausdruck für einen bestimmten Status.

Der soziale Vergleich ist nur natürlich. Außerdem, so beschreibt es die Sozialpsychologin Susan T. Fiske in ihrem hervorragenden und lesenswerten Buch[3], befindet sich jeder von uns in einer Position, von der aus wir einerseits Menschen mit höherem Status beneiden und andererseits Menschen, die wir als unter unserem Status befindlich wahrnehmen, verachten. In gewissem Sinne seien wir regelrechte Vergleichs-Maschinen, so die Professorin. Wir stellen permanent Vergleiche an, um uns über uns selbst und darüber zu informieren, wo wir stehen. Und wir tun dies, um unseren Selbstwert zu schützen.

 

In der Champions League des Reichtums

Neid ist aber noch mehr als ein Vergleich nach oben. Jemand anderen auf der persönlichen Vergleichsskala zu beneiden bedeutet für Menschen weitaus mehr Stress als der Blick auf derselben Skala nach unten. Dabei bleibt festzustellen: Neid ist dort am größten, wo wir uns mit Ähnlichen, Gleichgesinnten vergleichen können. Also im Vergleich mit unseren Bekannten, Nachbarn, Freunden und Verwandten, die so zu natürlichen Feinden werden können. Jemanden zu beneiden heißt letztlich auch, ihn seiner Gewinne wegen zu beneiden. Aber eigentlich käme doch ein Kreisklassenverein kaum auf die Idee, sich mit Bayern München zu vergleichen. Die spielen in einer anderen Liga. So wie Uli Hoeneß für viele von uns ebenfalls in einer anderen materiellen Liga spielt. Wie kann es dann aber überhaupt zur Schadenfreude kommen, wenn es einen aus der Champions League des Reichtums und Erfolgs erwischt?

In unserer Wahrnehmung fällt da jemand von ganz oben nach ganz unten und wird dadurch für uns für einen Augenblick lang, vielleicht auch für ein paar Tage, auf seinem Weg nach unten vergleichbar. Wenn eine große Persönlichkeit zu Fall gebracht wird, mag so aus Neid Verachtung werden, und es ist genau dieser Sturzflug, der bei vielen Menschen Schadenfreude auslöst, begleitet von einem Gerechtigkeitsempfinden, das uns manchmal selbst die Unschuldsvermutung vergessen lässt. Vor allem, wenn selbst Angela Merkel, die sich ja meistens eher bedeckt hält und herumlaviert, blitzschnell auf Abstand zu Herrn Hoeneß geht und in für sie ungewöhnlich deutlichen Worten ihre Enttäuschung kundtut.

Bei so viel Selbstgerechtigkeit war ich am Ende fast ein wenig erleichtert darüber, dass einer Umfrage zufolge 65 Prozent der Befragten Herrn Hoeneß, sofern er sich brav entschuldigt, verzeihen würden.



[1] Vgl. Parrott, Gerrod (1991): The Emotional Experience of Envy and Jealousy. In: The Psychology of Jealousy and Envy, edited by Perter Salovey, New York:Guilford Press

[2] Obgleich der Begriff Eifersucht häufig als Synonym für Neid verwandt wird, muss jene abgegrenzt werden. Eifersucht entsteht nämlich dann, wenn man glaubt etwas sehr Wertvolles zu besitzen und man befürchten muss, dass ein anderer es einem wegnimmt. Eifersüchtige Menschen werden wahrscheinlich ganz offene Maßnahmen ergreifen, um das zu beschützen, was sie als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten. In unserer Gesellschaft ist Eifersucht im Gegensatz zu Neid zumindest eine Emotion, der man Verständnis entgegenbringt

 

[3] Vgl. Fiske, Susan T. (2011): Envy up, Scorn down: How Status Divides Us, Russel Sage Foundation, New York

 

 

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8 Kommentare
  1. Antworten

    Emilio Baglioni

    9. Mai 2013

    Sehr geehrter Herr Goldberg,

    ich schätze Ihren Blog sehr.

    Aber Ihren heutigen Beitrag kann ich nicht einordnen.
    Was sollte das?
    Wieso bringen Sie Schadenfreude und Neid mit in die Debatte um Hoeneß?

    Frage: noch einer mehr, der die Straftat von Uli Hoeneß mit anderen Dingen vermischt und verknüpft und sie so kleiner und harmloser zu machen versucht?
    Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet.

    Ich lese Ihren Blog normalerweise gern. Nur leider heute nehme ich Ihren Beitrag nicht mit Wohlwollen zur Kenntnis. Sicher kann man über Neid und Schadenfreude schreiben.

    Aber bitte nicht im Zusammenhang mit Uli Hoeneß.

    Auch vertrete ich nicht Ihren Ansatz des „sind wir nicht alle ein bisschen Hoeneß?“.

    NEIN! WIR SIND NICHT ALLE HOENEß! AUCH NICHT EIN BISSCHEN!

    Wenn jemand einen Arbeiter ohne Rechnung bei sich arbeiten lässt, dann ist das seine Sache und dieser jemand muss sich danach selbst in den Spiegel schauen können!
    Das ist aber nicht mein Problem.
    Und ich glaube auch nicht, dass alle Deutschen einfach so und schamlos bereit dazu wären, ohne Skrupel Schwarzarbeiter bei sich arbeiten zu lassen!

    Jeder Steuerhinterzieher handelt asozial und ist es in dem Sinne dann auch. Nur die Dimensionen variieren. Aber keine Steuerhinterziehung ist zu entschuldigen. Oder wie Sie schreiben zu verzeihen. Mir kommen gleich die Tränen!

    Als wenn Sie Uli Hoeneß‘ Ghostwriter werden wollten.

    Hätte ich nicht von Ihnen erwartet!

    Ihre heutige Meinung teile ich überhaupt nicht und verstehe auch die Intention hinter ihrem Artikel nicht.

    Wer könnte denn auf Uli Hoeneß neidisch sein?

    Schadenfreude?
    Bei wem tritt die auf? Bei den anderen Steuerhinterziehern, die noch nicht erwischt wurden?

    Freundliche Grüße,
    E. Baglioni

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      9. Mai 2013

      Sehr geehrter Herr Baglionio,

      ich bedaure es, wenn es durch meinen Beitrag zu Missverständnissen gekommen sein sollte. Um aber eines klarzustellen: Ich möchte Herrn Hoeneß Verhalten weder verniedlichen noch relativieren – ein Urteil darüber steht mir nicht zu: Steuerhinterziehung ist eine Straftat, die ich ganz bestimmt nicht verharmlosen möchte. Aber nicht nur im Großen. Wenn Sie etwa schreiben „Wenn jemand einen Arbeiter ohne Rechnung bei sich arbeiten lässt, dann ist das seine Sache und dieser jemand muss sich danach selbst in den Spiegel schauen können!“ kann ich mit Ihnen nicht konform gehen. Auch das ist Steuerhinterziehung. Aber wie ich bereits im Blog deutlich gemacht hatte, geht es mir nicht darum.

      Mir ging es in meinem Beitrag nicht um Herrn Hoeneß selbst, sondern um die Reaktion auf diesen tiefen Fall eines berühmten und erfolgreichen Mannes. Mich hat dabei vor allem die psychologische Komponente interessiert, dass manche Menschen über andere nicht nur aus ihrem reinen Gerechtigkeitsempfinden heraus urteilen. Vielmehr gibt es nicht wenige, die Schadenfreude dabei empfinden, wenn etwa ein Star eine große Verfehlung begeht und sozusagen vom Himmel fällt – ein Star, den man einst bewundert hat und nun verachtet. Ich wollte einfach nur zeigen, wie es zu dieser Schadenfreude kommen kann und dass es dabei keineswegs nur um Moral geht.

      Und weil ich Schadenfreude durchaus menschlich, unter dem Deckmantel der Selbstgerechtigkeit aber dennoch hässlich finde, hat es mich beruhigt, dass Menschen trotzdem bereit sind, jemand anderem trotz einer möglicherweise großen Schuld zu verzeihen – interessanterweise zu einem Zeitpunkt, da für Herrn Hoeneß immer noch die Unschuldsvermutung gilt!

  2. Antworten

    fauvi

    9. Mai 2013

    Aber selbstverständlich!
    Ich „verzeihe“ auch google (schließlich benutzt von mir), auch Amazon (da kaufe ich viele second hand Bücher) auch allen anderen. Ja, ich bin ganz miserabel, ich bin auch selbst ein Verbrecher da ich mein Trink(geld, Praline oder Schokeriegel) doch dem Fiskus verschweige. Mea culpa!
    Sarc off!
    Blöd war das Fussballvolk schon immer!

  3. Antworten

    Emilio Baglioni

    9. Mai 2013

    Sehr geehrter Herr Goldberg,

    ich danke Ihnen für Ihre weiteren Ausführungen.

    Ich habe das Schwarzarbeiterbeispiel verwendet, nicht um es zu verteidigen, sondern um es anzuprangern. Wir sind da auf einer Linie.

    Alles Gute!

    Freundliche Grüße,
    E. Baglioni

  4. Antworten

    Helmut Josef Weber

    9. Mai 2013

    Begründung für meine Steuerhinterziehungen

    Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz (GG)
    sagt:
    Das Widerstandsrecht ist allgemein ein naturrechtlich bzw. durch ein positives Gesetz statuiertes Recht jedes Menschen, sich unter bestimmten Bedingungen gegen staatliche Gesetze oder Maßnahmen auflehnen zu dürfen bzw. ihnen den Gehorsam zu verweigern. Die Existenz eines überpositiven, naturrechtlich begründeten Widerstandsrechts wurde und wird – teilweise auch in falscher Gleichsetzung mit dem zivilen Ungehorsam – in der politischen Philosophie, der Rechtsphilosophie und der Staatstheorie kontrovers diskutiert. In Deutschland garantiert Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz (GG) das Recht eines jeden Deutschen, gegen jeden Widerstand zu leisten, der es unternimmt, die dort in Abs. 1 bis 3 niedergelegte Verfassungsordnung zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
    ________
    In meinem Fall, wurden bei mir Steuergesetze angewandt, die Verfassungswidrig waren; nämlich die Besteuerung des Existenzminimums.

    Artikel 20
    (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
    (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
    (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
    (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

    Da die Steuergesetzgebung sich nicht an Gesetz und Recht gehalten hat, sondern, mit der Besteuerung meines Existenzminimums, gegen das Grundgesetz verstoßen hat, habe ich Widerstand geleistet, weil eine andere Abhilfe nicht möglich war.
    Denn auch als die Besteuerung des Existenzminimums als Verfassungswidrig erklärt wurde, hat kein Bürger auch nur einen Pfennig an Rückzahlung der gesetzeswidrig eingezogenen Steuern zurückbekommen.
    Das Grundgesetz ist in jedem Fall maßgebender, als die Steuergesetze.
    Dass die Steuergesetze Verfassungswidrig waren, wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.
    Ja- und ich habe mich dagegen gewehrt, dass der Staat mir seit etwa 1966 jede Mark die ich verdient habe, grundgesetzwidrig besteuert hat.
    Natürlich weiß ich, dass Gesetze, wie der § 20 GG, nur in das Grundgesetz geschrieben worden sind, damit die Seiten voll werden und sich kein Mensch, ohne bestraft zu werden, darauf berufen kann.
    Daher musste ich mich heimlich gegen die Verletzung meiner Grundrechte wehren.
    Ich habe daher seit 1970 Steuern hinterzogen.
    Einmal dadurch, dass ich etwa 5 Jahre lang jede freie Stunde schwarzgearbeitet habe und dann ab 1977 als selbständiger Handwerksmeister.

    Naja- wie viel hatte mir der Staat denn nun grundgesetzwidrig an Steuern abgenommen in den ganzen Jahren?
    Das konnte ich unmöglich genau ermitteln.

    Also habe ich mich auch in diesem Fall so verhalten, wie sich der Staat mir gegenüber verhalten hätte:
    Ich habe geschätzt.

    Viele Grüße
    H. J. Weber

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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