Kulturwandel Teil 2: Auf dem Weg zu Behavioral Ethics
Immerhin hat die Politik unter dem Druck der Öffentlichkeit reagiert und eine Menge Regulierungen vorgenommen, die der Wiederholung einer Finanzkrise, wie wir sie während der vergangenen Jahre erlebt haben, vorbeugen sollen. So wurde etwa eine Aufklärungspflicht gegenüber den Kunden eingeführt. Auch sollen die erfolgsabhängigen Bestandteile des Einkommens künftig gedeckelt werden. Das wirkt zum Teil wie ein überzogener Aktionismus, der eher den Sozialneid bedient, als dass er wirklich etwas ändern könnte. Denn die Reumütigen unter den Top-Bankern, die neuerdings gerne von „Demut“ sprechen, haben schon längst eine Lösung für ihr moralisches Dilemma gefunden: Sie haben einfach ihre Grundgehälter massiv erhöht, dann kann man sich beim Bonus leichter in Bescheidenheit üben[1].
Wenn wir heute von „unethischem Verhalten“ sprechen, dann bezieht sich das nur auf diejenigen Fälle, die bekannt geworden sind und in denen einzelnen Protagonisten ein entsprechendes Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte. Konsequenzen wurden daraus aber erst gezogen, als die Verstöße gegen Ethik und Moral nicht mehr unter der Decke gehalten oder schöngeredet werden konnten. Dabei glaubte man, es sei damit getan, Mitglieder des Investmentbankings in einen Schnellkurs in Ethik zu schicken[2].
Mein Mitstreiter Herman Brodie hat es (hier) bereits einmal zum Ausdruck gebracht: Wie Menschen ihr eigenes Verhalten moralisch bewerten, hängt stark von den vorherrschenden sozialen Normen ab. Natürlich wird jemand seine Handlungen kaum als unethisch einstufen, wenn er stets nur das macht, was alle anderen auch tun. Und wenn die herrschende Norm darin besteht, Verkaufsziele über das Kundeninteresse zu stellen, warum sollte der Anlage-Berater seinen Klienten dann nicht Produkte verkaufen, mit denen diese nichts, er aber sehr viel verdienen kann?
Kulturwandel mit sechs Grundwerten
Nun versucht die Deutsche Bank, mit sechs Grundwerten einen Kulturwandel einzuläuten. Dazu zählen: Kundenfokus, Integrität, Partnerschaft, nachhaltiger Erfolg, Innovation und Disziplin. Gleichzeitig wurde für die Mitarbeiter ein Verhaltenskodex entwickelt, der ihnen vorgibt, wie sie die sechs Grundwerte in der Praxis umsetzen können. Auf diese Weise soll sich der Wandel zum Guten vollziehen – und vor allem das schlechte Image der Bank bekämpft werden.
Aber alle ethischen Regularien und Kurse zur Verhaltensverbesserung laufen Gefahr, ihr Ziel zu verfehlen, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgehen: Dass Menschen, sobald sie mit einem ethischen Dilemma konfrontiert werden, tatsächlich auch in der Lage sind, dieses zu erkennen.
Ganz abgesehen davon kostet es Geld, gut zu sein. Wenn man im Sinne des Grundwerts „Kundenfokus“ bei einer Geldanlage vor allem den Ertrag des Kunden im Auge hat und nicht mehr vorzugsweise die Rendite der Bank bei diesem Geschäft, wenn man tatsächlich in die Erforschung und Entwicklung von Innovationen investiert, statt alles, was als Non-Profit-Center gilt, im Zuge des permanenten Cost-Cutting ersatzlos zu streichen, dann könnte der Jahresgewinn am Ende tatsächlich niedriger ausfallen, als die Aktionäre sich das erträumt hatten. Was macht dann ein ethisch korrekter Unternehmensvorstand bei der Jahreshauptversammlung? Wie soll er dieses Ergebnis, das weit unter dem der weiterhin unethisch agierenden Konkurrenz liegt, gegenüber den Anteilseignern rechtfertigen?
Blinde Flecken
Wäre die Finanzkrise tatsächlich abwendbar gewesen, wenn die daran Beteiligten zuvor ein Training in Ethik durchlaufen hätten? Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte das nichts gebracht, schon weil wir uns nicht darüber im Klaren sind, wie sehr bei uns die Schere zwischen unserem moralischen Selbstbild und unserem tatsächlichen ethischen Verhalten auseinanderklafft[3]. So fragen etwa die Autoren des Buches Blind Spots[4] gleich zu Beginn, wie ethisch sich der Leser im Vergleich zu anderen Lesern einschätzen würde. Und zwar auf einer Skala zwischen null und 100, also zwischen dem „bösesten“ und dem „anständigsten“ aller Leser. Ein Wert von 50 würde demnach für eine durchschnittliche ethische Korrektheit stehen. Dennoch schätzen die Autoren, dass sich die meisten ihrer Leser etwa bei einem Wert von 75 sehen werden, sich also mehrheitlich für überdurchschnittlich „gut“ halten, was schlechterdings nicht möglich ist. Nur ein Fall von Overconfidence also?
Noch vor gut 25 Jahren gab es auf den Wirtschaftshochschulen und -Universitäten kaum einen Fachbereich mit Schwerpunkt auf Ethik oder Unternehmens-Moral. Wenn überhaupt, dann fanden solche Kurse oder Unterrichtseinheiten im Fachbereich Philosophie[5] statt. Dort konzentrierten sich die Wissenschaftler aber vor allem darauf, herauszufinden, wie sich Menschen verhalten sollten, um moralisch einwandfrei zu handeln. Dabei geriet der Blick für die Realität meist völlig in den Hintergrund. Hier genau setzt die Behavioral Ethics an. In zahlreichen Experimenten und Studien haben die Protagonisten dieser relativ jungen Forschungsrichtung herausgefunden, wie Menschen Entscheidungen treffen, welche inneren und äußeren Faktoren diesen Entscheidungsprozess beeinflussen und wie man lernen kann, ethisch bessere Entscheidungen zu treffen.
Mehr dazu in der kommenden Woche.
[1] Vgl. Mercer-Studie „Global Financial Services Executive Remuneration Report“ aus der Börsenzeitung vom 21. August 2013, S.3
[2] So hatte im Herbst 2012 etwa die Bank Santander 800 ihrer britischen Privatkundenberater für den Besuch einer Umschulungsmaßnahme freigestellt. Unter anderem musste von da an jeder Berater einheitliche Berufsstandards einhalten, inklusive eines ethischen Verhaltenskodex.
[3] Epley, Nicholas and Dunning, David (2000): Feeling „Holier Than Thou”: Are Self-Serving Assessments Produced by Errors in Self- or Social Prediction? Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 79, No. 6, pp. 861 – 875
[4] Bazerman, Max H.; Tenbrunsel, Ann E. (2011): Blind Spots, Why We Fail to Do What’s Right and What to Do about It, Princeton University Press, Princeton New Jersey
[5] Bazerman, Max H.; Gino, Francesca (2012): Behavioral Ethics: Toward a Deeper Understanding of Moral Judgement and Dishonesty, Annual Review of Law and Social Science, Vol. 8, pp. 85 – 104, 2012
börsenwusler
ich denke schon, dass eine andere Ethik andere Konsequenzen mit sich gebracht hätte! Vieles war doch absichtlich gemacht worden, mit der Ethik, dass man beispielsweise nicht betrügt, wäre vieles anders geworden. doch es gibt eine ethik: die, dass man an sich selbst denkt- dann ist doch an alle gedacht?! Also das Gegenteil der Menschen die sich an der Gesellschaft beteiligen – der Zoon Politicon – , oder wie aristoteles diese leute nannte: „idiotes“.