Kein Markowitz-Depot
Großes Erstaunen bei der Lektüre der FTD. Das Markowitz‘sche Gesetz der Diversifikation, so musste ich dort lesen, soll wieder funktionieren, wo doch gerade dieses Konzept während der Finanzkrise in die Kritik geraten war. Denn wer damals sein Portfolio im Sinne des Nobelpreisträgers aufgebaut und seine Risiken gestreut hatte, konnte mitunter erleben, was passiert, wenn die Mehrheit der Finanz-Profis weltweit nach demselben Schema handelt. Und wer gemäß der Theorie von Markowitz eine Streuung seines Vermögens in verschiedene Anlageklassen vorgenommen hatte, die möglichst wenig miteinander korrelierten, um Verluste besser abfedern zu können, durfte zeitweise mitansehen, wie eine gut gemeinte Idee ad absurdum geführt wurde. Denn wenn viele Menschen dieselbe Theorie benutzen, bewegen sie sich ungewollt in Herden. Mit der Folge, dass Anlageklassen, die vormals nur wenig miteinander zu tun hatten, mit einem Male eng korreliert waren. Und als dann 2008 im Zuge der Immobilienkrise und des Lehman-Crashs viele Akteure gleichzeitig ihr Geld zurückhaben wollten, verwandelte sich eine vielversprechende, aber bis heute alternativlose Idee zur Risikostreuung, wie übrigens viele andere Goldene Regeln auch, in einen Fluch. Weil man nicht der einzige blieb, der sie anzuwenden versuchte.
Problematische Sachwerte
Jetzt, Jahre später, nachdem die großen Kursstürze von damals Historie sind, scheint manch einer erneut auf den guten, alten Markowitz setzen zu wollen. Doch wie soll man sein Portfolio absichern? Kein Wunder, dass man gerade in Zeiten der Unsicherheit schnell auf Sachwerte schielt, zumal Anleihen derzeit kaum Rendite bringen und auch Aktien zumindest hierzulande nicht wirklich gefragt sind. Doch mit den Sachwerten ist das so eine Sache. Wer Gold und Silber bereits hat – und das trifft bestimmt auf ziemlich viele zu –, muss sich auf weniger Bewegliches beschränken. Denn abgesehen von Wohnimmobilien bleibt da nicht allzu viel übrig. Oldtimer? Kunst? Oder edle Bordeaux-Weine? Ein Privatbanker brachte es auf den Punkt: Wer ein bestimmtes Faible habe und sich zum Beispiel bei Weinen auskenne, für den könne so etwas durchaus ein gutes Investment sein, konnte man in der gestrigen Ausgabe der FTD erfahren. Aber Herzblut müsse schon darin stecken, so das caveat des Geschäftsführers der Private-Banking-Sparte einer deutschen Bank. Eigentlich sind das Eigenschaften, die auch auf mich zutreffen, dachte ich mir.
„Langfristig“ und „Geduld“ klingt nicht nach Gewinn
Aber immer wenn ich das Wort „langfristig“ in Zusammenhang mit dem Begriff „Geduld“ lese, beschleicht mich ein seltsames Gefühl. Denn diese Kombination klingt in meinen Ohren verdächtig nach Engagements, die zumindest in der Gegenwart nicht ohne Verluste glattgestellt werden können. Gerade dies gilt derzeit für den Bordeaux-Wein-Markt, dessen Preise sich – gemessen am Live-Ex Fine Wine 100 Index[1] –über fünf Jahre hinweg bis Mitte 2011 immerhin mehr als verdreifacht hatten. Ja, ich kann mich noch erinnern, wie bei einer Versteigerung von Sotheby’s in Hongkong eine Flasche Chateau Lafitte-Rothschild aus dem Jahre 1869 alle Rekorde brach und für 233.000 USD den Besitzer wechselte.
Intransparenter Markt
Seither ist es allerdings mit den Preisen für die besten Gewächse der Welt stetig nach unten gegangen, so dass die führende Benchmark von der Spitze gut 27 Prozent an Wert verloren hat und nur noch auf dem Hoch vom Jahr 2008 notiert, also bevor die Immobilienkrise so richtig begann. Ganz zu schweigen, dass man als Laie im Falle eines Notverkaufs auch noch eine saftige Händlerspanne von locker 20 bis 30 Prozent in Kauf nehmen müsste, weswegen aus der einst so hochpreisigen Anlage aufgrund mangelnder Markttransparenz nur noch ein kleines Vermögen übrig bleiben dürfte. Ein Umstand, der bei vielen Sachinvestitionen übersehen wird.
Zum Glück bin ich ein echter Wein-Fan, liebe den Rebensaft nicht um der Rendite oder der Risikostreuung willen, sondern genieße das rote Gold aus Spaß und Leidenschaft. Nein, das Wertpapierdepot wird nicht mit Wein aufgefüllt, auch wenn Markowitz wieder in Mode sein sollte.
[1] *Es handelt sich dabei um die führende Benchmark der Weinindustrie – Bordeaux ist mit gut 90 Prozent im Index am stärksten vertreten
Schmidt
Schöne Darstellung. Trifft übrigens auch die Wirklichkeit in anderen dynamischen Märkten. Ein paar Beispiele:
1) Im Marketing gibt es stets wirkliche „Geheimtipps“, die aber auch nur solange funktionieren, wie sie fast niemand kennt. Wenn alle den „Geheimtipp“ befolgen, ändern sich die zugrundliegenden Parameter, und er kann nicht mehr funktionieren.
2) Körpersprache: Natürlich kann man lernen, körpersprachliche Signale, die das Unbewusste des Gegenübers entäußern, zu deuten. Aber nur solange, wie das Gegenüber diese Signale nicht kennt und nicht zu kontrollieren versucht. Dann nämlich entsteht eine neue, höhere Ebene der Täuschung. Die alten „Transkriptionen“ stimmen nicht mehr.
3) Volkswirtschaft: Hier haben wir das uralte und ewige Dilemma zwischen Gleichheit und Freiheit, von dem ein kluger Mann (war es Churchill?) einmal sagte: Dem Kapitalismus haftet die Sünde der ungleichmäßigen Verteilung der Vermögen an, dem Sozialismus haftet die Tugend der gleichmäßigen Verteilung des Elends an.
Helfried Schmidt
http://www.kompetenznetz-mittelstand.de/experten/helfried-schmidt
Holger
Hallo Herr Goldberg,
danke für den Artikel. Ich wundere mich jedes Mal aufs Neue, wenn wieder einmal das Ende der anlageklassenübergreifenden Diversifikation ausgerufen wird. Und wenn behauptet wird, diese Diversifikation habe 2008 versagt.
Schließlich haben sich Aktien und Anleihen – die doch nach wie vor die Basis-Anlageklassen in den meisten Portfolios darstellen – sich geradezu mustergültig unabhängig voneinander verhalten. Und Rohstoffe sind zumindest zeitversetzt abgeschmiert – was nicht schön ist, aber besser als völlig gleichzeitig.
Die Grundidee hat sich also keinesfalls in einen Fluch verwandelt. Und dass „in Krisen alles fällt außer den Korrelationen“ war auch schon vor dem Jahr 2008 bekannt. Insofern frage ich mich, ob nicht einfach zu viele Anleger auf Marketinggeklingel hereingefallen sind – und zwar sowohl, was die Macht der Diversifikation angeht, als auch in Bezug auf die Eigenschaften einzelner alternativer Anlageklassen.
Die von Ihnen so schön beschriebene Anlageklasse Rotwein ist ja nur ein besonders leckeres Beispiel dafür.