Märkte Wirtschaft

Heruntergekochte Erwartungen

am
6. September 2012

Für viele Marktteilnehmer mag es gestern überraschend gewesen sein, wie stark es in der Gerüchteküche hinsichtlich der heute stattfindenden EZB-Sitzung brodelte. Erst machte eine Fama die Runde, die EZB würde heute einen Plan mit dem Namen “Monetary Outright Transactions“ vorstellen, der den unbeschränkten Ankauf von Staatsanleihen mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren (im Gespräch waren auch Laufzeiten die nur bis ein Jahr oder andererseits sogar bis fünf Jahre reichten) vorsieht, allerdings mit der Möglichkeit diese sterilisieren zu können. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man habe einfach nur die Gelddruckmaschine angeworfen. Des Weiteren war zu vernehmen, dass die EZB davon absehen werde, eine offizielle Interventionsgrenze bezüglich der Anleiherenditen bekanntzugeben. Auch war zu hören, die Zentralbank werde auf die so genannte Seniorität, die bevorzugte Stellung als Gläubiger im Falle einer Pleite, verzichten. Ganz zu schweigen davon, dass Mario Draghi heute noch einmal die Konditionalität seines Programms hervorheben wird, im Rahmen derer die EZB aufhören werde, Anleihen von Staaten aufzukaufen, die den vereinbarten Bedingungen, sprich Sparauflagen, nicht nachkommen würden. Ja, es wurde sogar kolportiert, dass sich die EZB in diesem Falle von bereits erworbenen Anleihen der betroffenen Staaten umgehend trennen würde. Etwa unter Inkaufnahme einer Panik? Das stünde doch ganz klar im Gegensatz zur Aussage Mario Draghis vor einem Monat, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten.

 

Rohrkrepierer statt Bazooka?

Wie das Programm nun genau aussieht, das der EZB Präsident heute vorstellen wird, kann trotzdem niemand mit letzter Sicherheit sagen – dies ist auch nicht beabsichtigt. Aber wie schon früher während der Euro-Krise immer wieder zu beobachten war, wird mit derlei offenbar gezielt gestreuten Gerüchten die hohe Erwartungshaltung der Marktteilnehmer verwässert und der Referenzpunkt der Erwartungen auf ein Minimum gesenkt. Während es gestern Vormittag noch hieß, der EZB-Präsident müsse nun endlich liefern und die so genannte Bazooka nicht nur zeigen, sondern auch sprechen lassen, hörte sich das am Nachmittag schon ganz anders an. Von einem Rohrkrepierer war mancherorts die Rede. Mit der Folge, dass bereits ein kleiner konkreter Plan Mario Draghis bei der heutigen Pressekonferenz eine positive Überraschung darstellen würde.

Interessanterweise reagierten sowohl der Euro als auch der Aktienmarkt nur temporär und in bescheidenem Umfang auf die gestrigen Gerüchte. Offenbar ist man gerade beim DAX bereits auf Negatives eingestellt, so dass eine Enttäuschung seitens der EZB durch die bereits seit Wochen bestehende Absicherungen der mittelfristig orientierten Akteure beim DAX de facto bereits eingepreist ist. Welche Folgen dies haben dürfte, können sie der jüngsten Sentiment-Analyse der Börse Frankfurt entnehmen, die von Gianni Hirschmüller erstellt wurde.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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