Behavioral Living

Jenseits von Gut und Böse: In der Shoppingfalle

am
6. Januar 2012

Voller guter Vorsätze für das neue Jahr bemühte ich mich schon an Weihnachten auf den Cross-Trainer im Fitnessstudio. Auf einem der acht Bildschirme vor mir flimmerte gerade „n-tv Deluxe – alles, was Spaß macht“. Da kann ich einfach nicht abschalten, auch wenn die herzliche Begrüßung: „Hallo, liebe Milliardäre!“ sicherlich nicht an mich gerichtet ist. Aber das, was ich dort präsentiert bekomme, weckt ganz widersprüchliche Gefühle in mir: etwas wie „schwermütigen Neid und ein ganz klein wenig Verachtung“. So jedenfalls hat Thomas Mann einmal treffend die Empfindung von Ambivalenz beschrieben. Ich hatte wohl etwas zu spät eingeschaltet, denn den Weihnachtsbaum für 15.000 Euro hatte ich bereits verpasst. Auch dem Beitrag über den Amor für Multimillionäre, den Heiratsvermittler, der sich um die Eheanbahnung zwischen zwei Vermögen bemüht, habe ich nur mit halbem Ohr gelauscht. Reich und allein, das war schließlich nicht mein Problem. Auch brauche ich keine mit Nerzteilen bestückten Christbaumkugeln, wie jene Geschäftsfrau, deren Weihnachtsbaum in einer Hotelsuite gerade noch rechtzeitig vor der Bescherung geschmückt werden konnte. „Jetzt muss sie sich nur noch in Weihnachtsstimmung bringen“, empfahl eine wohlwollende Stimme aus dem Off der erfolgreichen Unternehmerin, die da alleine auf ihrem Sessel thronte und den pelzbewehrten Baum anstarrte. Ich hoffe, das ist ihr dann gelungen.

Richtig interessant wurde es aus Behavioral-Economics-Sicht eigentlich erst, als die Shopping-Beraterin Barbara Wilcke-Schröder vorgestellt wurde. Die ist so etwas wie das Gegenteil einer Schnäppchenjägerin, denn Frau Wilcke-Schröder weiß, wo es für anspruchsvolle Kunden die besten und teuersten Weihnachtsgeschenke zu kaufen gibt. So trifft sie zum Beispiel schon einmal im Voraus für die gestresste Klientin eine Auswahl möglicher Bekleidungsstücke und präsentiert ihr diese in einem fast privat wirkenden Ambiente abseits vom hektischen Trubel in Kaufhäusern und Boutiquen. Zum Abschluss, bei einem Glase prickelnden Rosé-Champagners, legt sie der Luxus-Kundin dann noch, nur mal so zum Anfühlen, eine 20.000 Euro teure Armbanduhr aufs Handgelenk, aber die Dame bleibt merkwürdig zurückhaltend, will oder kann sich nicht so recht entscheiden, ob sie dieses Kleinod ihrer großen Schmucksammlung nun noch hinzufügen soll oder nicht. Doch da bedient sich die leicht düpiert wirkende Verkäuferin eines weiteren Verkäufer-Tricks: Sie bietet die kostbare Uhr für 14 Tage zum Probetragen an. Die Kundin, doch eigentlich an allerlei Vorzugsbehandlung gewöhnt, scheint fassungslos im Angesicht so freundlichem Entgegenkommens: „Dass so etwas möglich ist“, stammelt sie überwältigt nicht ahnend, dass sie soeben dem so genannten „Besitztumseffekt“ auf den Leim gegangen ist. Weil die Inbesitznahme der Armbanduhr wie ein Gewinn und deren Rückgabe nach zwei Wochen wie ein Verlust und damit deutlich schwerer wahrgenommen wird, steigen die Chancen auf einen Erwerb der Pretiose ob dieser Dissonanz dramatisch an.

Was bei Superreichen funktioniert, macht auch vor Normalbürgern nicht Halt – auch Letzterer wird natürlich immer wieder (Shopping-) Opfer des Besitztumseffekts, vermutlich jedoch nicht bei astronomischen Beträgen, die außerhalb seines Vermögenshorizonts liegen. Denn auch nach zwei Wochen wird er sich kaum an den Gedanken gewöhnen können, einfach mal 20.000 EUR für eine Uhr aufzuwenden. Die Uhr am Ende wieder herzugeben, würde bei Weitem nicht so schwer wiegen wie der Verlust von 20.000 EUR seines Ersparten. Doch handelt es sich nur um eine 200 EUR teure Uhr, hilft bei solch findigen Verkaufsstrategien auch dem Normalo nur noch eines: kaufen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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