Dollar am Morgen Märkte

Hoffnung und Hängepartien

am
22. Oktober 2019

EUR USD (1,1155)             Es ist schon erstaunlich, wie beim Brexit-Drama aus halben Gewissheiten ganze Ungewissheiten werden. Konnte man am vergangenen Wochenende noch davon ausgehen, dass es heute – sogar der gestrige Montag war im Gespräch – zu einer zweiten Lesung und einer Abstimmung zum Brexit-Abkommen kommen würde, hat uns Unterhaussprecher John Bercow gestern eines Besseren belehrt: „Heute“ [am Montag] gebe es keine Abstimmung („meaningful vote“) und auch keine Debatte zum Brexit-Deal. Aber Bercow schlug der Regierung zumindest vor, das Ratifizierungsgesetz zum Brexit-Abkommen, das den Deal sozusagen in britisches Recht gießt, vom Unterhaus verabschieden zu lassen. Etwas, das doch – wenn ich es richtig gelesen habe – am vergangenen Samstag mit dem sogenannten „Letwin amendment“ ohnehin beschlossen wurde. Was eigentlich so einfach aussieht, ist aber doch viel komplexer als gedacht. Denn zum Ratifizierungsgesetz können Änderungsanträge eingebracht werden.

Man darf gar nicht darüber nachdenken, was da alles passieren kann. Vielleicht gibt es sogar ein zweites Referendum. Und wenn Großbritannien – sofern ein solcher Volksentscheid überhaupt eine derartige Option vorsieht – am Ende sogar in der EU bleiben möchte? Pfund-Händler scheinen sich jedenfalls sicher, dass alles gut wird. Denn die britische Währung präsentierte sich trotz der Unwägbarkeiten zum Wochenbeginn in prächtiger Verfassung.

 

Der große Deal

Ich glaube, ich bin nicht der Einzige, dem zumindest zeitweise mitunter der Überblick zum Brexit zu verloren gehen scheint. Und wie es ein britischer Kommentator vor ein paar Tagen ausdrückte, hat wohl auch niemand eine klare Vorstellung davon, worin die Auswirkungen eines „hard“, eines „soft“ oder moderaten Brexit für das Vereinigte Königreich und die EU bestehen könnten. Tatsächlich rühre das ganze Durcheinander daher, dass niemand genau wisse, was unter einem „Brexit“ tatsächlich zu verstehen sei. Aber immerhin sprach der britische Premierminister Boris Johnson in der vergangenen Woche davon, dass ein großer neuer Deal [mit der EU] erreicht worden wäre, mit dem man die Kontrolle [über den Austritt Großbritanniens aus der EU] zurückgewonnen hätte. Klingt doch ein bisschen wie Donald Trump. Bei so viel Durcheinander und Unübersichtlichem, einem Schauspiel, das sich weiter in die Länge zu ziehen droht, ist es fast schon erstaunlich, dass die Finanzmarktteilnehmer, insbesondere die hiesigen Aktienmärkte, so optimistisch bleiben.

 

Zuversicht im Handels-Deal

Aber vielleicht kommt der Optimismus der Akteure ja auch aus einer ganz anderen Ecke, ein Aspekt, der aufgrund der Nachrichtenlage derzeit in den Hintergrund gedrängt wird. Die Rede ist von der „Phase 1“, einem ersten Schritt auf dem Weg zu einem Deal im US-chinesischen Handelskrieg. Dabei spielte US-Handelsminister Wilbur Ross gestern in einem TV-Interview die Chance darauf, dass ein derartiges Teilabkommen beim APEC-Treffen in Chile wie vielerorts erwartet im November unterzeichnet werden könne, zwar herunter. Aber Larry Kudlow, ebenfalls in einem TV-Interview, klang etwas optimistischer: Wenn die Gespräche zur „Phase 1“ gut verliefen, gäbe es tatsächlich eine Möglichkeit, die für den 15. Dezember angedrohten Strafzölle vom Tisch zu bekommen. Wobei der ökonomische Chefberater Donald Trumps allerdings fast erstaunlich offen relativierte, er könne für nichts garantieren, denn all das läge in der Hand des US-Präsidenten. Echte Zuversicht klingt anders.

Unterdessen hat der Euro gestern einen kleinen Rücksetzer hinnehmen müssen. Der Aufwärtsimpuls (Potenzial bis 1,1230, das jedoch nicht zwingend ausgeschöpft werden muss) bleibt jedoch erhalten, solange nun an der recht durchlässigen Unterseite (vor allem unterhalb von 1,1105) 1,1065/70 nicht verletzt wird.

 

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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