Dollar am Morgen Märkte

Ein Showdown und zwei Briefe

am
21. Oktober 2019

EUR USD (1,1155)             „The ayes have it“ verkündete der Sprecher des britischen Unterhauses, John Bercow, am Samstagnachmittag. Allerdings war damit nicht die Zustimmung zum Brexit-Abkommen von Premierminister Boris Johnson gemeint. Vielmehr ging es um das sogenannte „Letwin amendment“, das vom Abgeordneten Oliver Letwin eingebracht wurde. Und mit 322 zu 306 Stimmen wurde diesem Antrag zufolge beschlossen, dass die Entscheidung vertagt werden soll, bis das entsprechende Ratifizierungsgesetz („Withdrawal Agreement Bill“) verabschiedet ist. Eine Vertagung, die Boris Johnson am morgigen Dienstag (ggf. auch schon heute) die Möglichkeit gibt, doch noch seinen Deal durchs Unterhaus zu bringen.

Aber gemäß einem im September verabschiedeten Gesetz hat der Premierminister Brüssel noch Samstagnacht in einem (von ihm nicht unterschriebenen) Brief an die EU um einen weiteren Aufschub bis zum 31. Januar gebeten. Trotzdem werde die Regierung weiter daran arbeiten, die nötige Ratifizierung und Verabschiedung [des notwendigen Gesetzes] Anfang dieser Woche auf den Weg und noch bis zum 31. Oktober zu Ende zu bringen, so Johnson in einem zweiten Brief an die EU. In diesem Schreiben hob er a hervor, dass er einen weiteren Brexit-Aufschub ablehne. Unterdessen bleibt unklar, ob es für Boris Johnson auch bei der für Morgen angesetzten zweiten Lesung zur sogenannten „Withdrawal Agreement Bill“ für eine Mehrheit reichen wird.

 

Komplexitätsaversion

Abgesehen davon, dass die 27 übrigen EU-Staaten mit hoher Wahrscheinlichkeit einem Antrag auf Verschiebung zustimmen werden, bleibt nach wie vor unklar, wie dieser möglicherweise mehr als dreieinhalb Jahre in Anspruch nehmende Brexit-Prozess enden wird. Die Optionen reichen von Neuwahlen über ein zweites Referendum, möglicherweise langwierige Gerichtsverfahren bis hin zu einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU. Kurzum: Die von den Finanzmarktakteuren gehasste Unsicherheit in Sachen Brexit bleibt bestehen.

Neben dem sogenannten „Super Saturday“-Show-down im britischen Unterhaus gab es zum Wochenende allerdings noch andere Einflussfaktoren, die den Euro unterstützten. Tatsächlich ist es aber noch nicht einmal gesichert, ob die Hoffnungen in Sachen Brexit-Deal am Freitag dem Euro zum elften Tagesgewinn der vergangenen 14 Handelstage verhalfen. Ein Blick auf den Euro bzw. Greenback gegenüber jeweiligen Währungskörben vermittelt nämlich, dass es sich bei der Entwicklung des Wechselkurses seit Anfang Oktober vielmehr um eine Dollarschwäche als um eine innere Euro-Stärke handelt.

 

Vor der Schweigeperiode

Ein wesentlicher Grund dafür dürfte in der jüngsten Entwicklung der US-Leitzinserwartungen liegen. In diesem Zusammenhang sind die Reden einiger Mitglieder des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (FOMC) vom Freitag zu erwähnen, bevor die Schweigeperiode bis zum Ende der kommenden FOMC-Sitzung am 31. Oktober begann. Dabei wurde wieder einmal deutlich, dass sich die Ausschussmitglieder derzeit – wenig überraschend – keinesfalls einig sind. Und so wundert es auch nicht, dass der Fed-Vize Richard Clarida fast schon gebetsmühlenartig über den guten Zustand der heimischen Wirtschaft und über die „offensichtlichen Risiken“ referierte. Obwohl es Clarida vor dem Wochenende sichtlich vermied, irgendetwas Weltbewegendes verlautbaren zu lassen, hinterließen seine Worte dennoch einen leicht taubenhaften Unterton. Denn Clarida wies nicht nur auf die deutliche Abschwächung der globalen Wirtschaft, sondern auch auf deren inflationshemmende Dynamik hin. Eine Dynamik, die den heimischen Inflationsausblick eintrüben könnte.

 

US-Zinssenkung in der kommenden Woche gut eingepreist

Blickt man auf das CME FedWatch-Tool, so hat sich die implizite Wahrscheinlichkeit für eine Leitzinssenkung zum Ende der Handelssitzung am Freitag gegenüber der Vorwoche von 67 auf rund 91 Prozent erhöht. Im gleichen Zuge  hat sich auch die Wahrscheinlichkeit für zwei Zinssenkungen per Jahresende von 22 auf 24 Prozent leicht befestigt. Mit anderen Worten: Die Marktteilnehmer haben vielerorts eine Zinssenkung in der nächsten Woche bereits weitgehend eingepreist. Unterdessen hat der Euro zum Wochenende den höchsten Kurs seit Mitte August markiert. Dabei bleibt der Aufwärtsimpuls der Gemeinschaftswährung (mit Potenzial bis 1,1230) intakt, solange nun an der Unterseite 1,1050/55 nicht verletzt wird.

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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