Dollar am Morgen Märkte Politik

Gedämpfte Wachstumsaussichten

am
27. Mai 2019

EUR USD (1,1210)             Stellen sich vor, Sie hätten bereits vor der Europawahl gewusst, wie diese ausgehen würde. Hätten Sie tatsächlich etwas mit dieser Information anfangen können? Hätte ein Devisenhändler im Vorfeld Euro gegenüber dem Dollar verkauft? Zumindest die Kommentare in etlichen Medien legten dem Leser diesen Schluss nahe. Von Politikern, die in die Ringecke geprügelt würden, von Demütigung, von Protest, von brüchigen Koalitionen und dergleichen mehr war vielfach die Rede. Kurzum: Eigentlich konnte kaum Positives von der Wahl ausgehen. Und trotzdem scheint sich bislang kaum jemand getraut zu haben, Euros in großem Stil deswegen zu shorten.

Etwa weil sich die Euro-Bären in der vergangenen Woche eine blutige Nase geholt hatten? Oder weil die Liquidität am heutigen Montag wegen der Feiertage in Großbritannien und den USA zu dünn sein würde, um sich aus einer möglichen Schieflage mit halbwegs geringem Schaden befreien zu können? Oder weil die Folgen des Wahlausgangs einfach nicht übersehbar, weil zu komplex, sein könnten? Devisenhändler hassen wie andere Finanzmarktteilnehmer komplexe Sachverhalte und halten sich im Zweifel aus dem Marktgeschehen heraus.

Und so wundert es auch nicht, dass der Euro heute früh, nachdem eine Reihe von Prognosen und Hochrechnungen zur Wahl des Europäischen Parlaments vorliegen, keine große Volatilität an den Tag legt.

 

Dabei ist es in der vergangenen Woche keineswegs so gewesen, dass die Marktteilnehmer besonders risikofreudig gewesen wären. Denn tatsächlich waren etwa die sogenannten Fluchtwährungen Franken und Yen weiterhin gesucht. Indes: Die Kursveränderungen blieben überschaubar.

 

Handelskrieg wichtiger als Europawahl

Die Ursache dafür wird weiterhin in erster Linie dem eskalierten Verlauf des US-chinesischen Handelskrieges zugeschrieben, den auch die Aktienmärkte mit einem Wochenverlust quittierten. Einzig und allein die Rolle des Dollar hat wohl einige Analysten überrascht. Denn es galt doch bisher die Faustregel, dass ein ungelöster Handelskrieg für den Greenback als Zeichen der Risikoaversion der Händler positiv zu werten sei. Aber nun scheint sich mehr und mehr die Meinung durchzusetzen, dass die US-Strafzölle zunächst einmal hauptsächlich von US-Unternehmen bezahlt werden müssten, weil deren Gewinnmargen dadurch unter Druck gerieten. Und seit Freitag ist es amtlich: Bereits jetzt muss US-Präsident Donald Trump den dortigen Farmern mit rund 16 Mrd. USD unter die Arme greifen.

In der abgelaufenen Woche wurden zunächst die wenig erfreulichen ersten Schätzungen zu den Einkaufsmanagerindices in den USA und dann am Freitag auch die enttäuschenden Zahlen zu den Aufträgen langlebiger Wirtschaftsgüter für April (inklusive einer Abwärtsrevision des guten Vormonatswertes) publiziert. Sofort wurde daraufhin gemutmaßt, dass jetzt wohl die Wachstumsaussichten für das zweite Quartal 2019 nach unten korrigiert werden müssen. Derzeit liegt der Konsens der Ökonomen bei einem Plus des US-Bruttoinlandprodukts von 2,0 Prozent, während die Prognosemodelle der Fed von Atlanta (GDPNow) und der New York Fed mit 1,3 bzw. 1,4 Prozent deutlich tiefer liegen. Auch die Zinsstrukturkurve hat reagiert: Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen ist unter diejenige von T-Bills mit dreimonatiger Laufzeit gefallen und zeigt somit eine Inversion an, die mancherorts als Vorbote einer Rezession gewertet wird. Gleichzeitig haben die US-Futures-Märkte (vergleiche CME FedWatch Tool) die Wahrscheinlichkeit von mindestens einer US-Zinssenkung in diesem Jahr zu 77 Prozent eingepreist.

Zu Wochenbeginn zeigt sich der Euro leicht oberhalb des Schlusskursniveaus vom Freitag (1,1202) und befindet sich damit fast in der Mitte seiner Konsolidierung zwischen 1,1110 und 1,1320/25. Die Gemeinschaftswährung bleibt dabei jedenfalls stabil, solange das Niveau von 1,1145/50 nicht unterlaufen wird.

 

 

Hinweis

 

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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