Behavioral Living

Freifahrt mit mentalen Hindernissen

am
9. Januar 2013

Die meisten Reisen lege ich mit der Bahn zurück. Und als Vielfahrer habe ich natürlich auch ein bahn.bonus-Konto, auf dem man für jeden bezahlten Euro Punkte sammeln kann. Da die Bonuspunkte mit jeder Reise automatisch verbucht werden, kümmere ich mich eigentlich nicht weiter um sie. Selbst, wenn mir allmonatlich per E-Mail der Stand des Bonuskontos übermittelt wird, nehme ich diesen allenfalls beiläufig wahr. Bis mich ein Kollege wieder einmal darauf aufmerksam machte, dass auch die Bonuspunkte der Bahn, wie Geld mit der Zeit durch Inflation – vermutlich schneller als auf einem zinslosen Girokonto – an Kaufkraft verlieren würden. Denn man braucht mit der Zeit immer mehr Punkte, um eine attraktive Prämie zu erhalten. Zu langes Sammeln wirkt sich also eher negativ aus.

Und so beschloss ich, den Stand meines Prämienkontos möglichst rasch zu reduzieren. 1000 Punkte für eine Bahnfahrt hier, 2000 für eine Reise erster Klasse da – so schnell fährt kein ICE wie mein jahrelang angesparter Punktesaldo dahinschmolz. Und wie wenig ich für das mühsam auf Tausenden von Bahnkilometern ersessene Guthaben bekam. Nein, ich möchte mich jetzt nicht darüber auslassen, dass ich für den Erwerb meiner Gratisfahrkarte auch noch den Frankfurter Hauptbahnhof aufsuchen musste, um einen Gutschein in eine Fahrkarte einzutauschen; ein Akt, der mich zudem 20 Minuten Wartezeit am Erste-Klasse-Schalter kostete, bis ich endlich an der Reihe war. Aber ich sollte doch immerhin dankbar sein, dass ich von den limitierten Sitzplätzen trotz Ferienzeit tatsächlich noch einen abbekommen hatte, sagte ich mir zur Beruhigung. Sogar auch für meinen Sohn, der aufgrund seines Alters ohnehin kostenlos mitfahren durfte. Weitere Prämienpunkte löste ich schließlich für Verzehrgutscheine im Speisewagen ein.

 

Wunderwaffe Fünf-Euro-Bonusgutscheine

Normalerweise vermeide ich es, überteuerten, schlechten Kaffee oder Mineralwasser im ICE zu bestellen oder mich gar in den Speisewagen zu setzen, um dort ein Mahl einzunehmen. Aber bewaffnet mit Fünf-Euro-Bonusgutscheinen konnte ich die Angelegenheit schon lockerer angehen lassen. Schnell waren ein paar Getränke für meinen Sohn und mich bestellt, als mir die nette ICE-Zugbegleiterin eine Rechnung von knapp sieben Euro aufmachte. Ich zückte zwei meiner Gutscheine im Wert von jeweils fünf Euro und rundete den Verzehrbetrag auch noch großzügig mit den Worten: „Machen Sie acht [Euro]!“ – „Ich darf Ihnen leider auf die Gutscheine kein Bargeld herausgeben“, beschied mich die Zugbegleiterin mit fast mitleidigem Blick. „Aber Sie dürfen mir gerne einen Gutschein geben und den Rest in bar“, schlug sie mir zur Güte vor. Ich tat mich ausgesprochen schwer. Sollte ich der Zugbegleiterin beide Gutscheine überlassen und auf das Rückgeld verzichten, weil es sich für mich ohnehin um einen Windfall-Profit handelte? Das wäre aber dann doch zu viel des Guten gewesen, sagte ich mir, zückte mit vermutlich leicht angesäuerter Miene mein Portemonnaie und bezahlte meine Bestellung mit einem Gutschein und drei Euro Stücken. Ja, ich fühlte mich nicht gut, weil ich für drei fiese Euro auch noch ein weiteres mentales Konto eröffnen musste.

„Es tut mir wahnsinnig leid, aber ich habe die Vorschriften nicht gemacht“, flötete mir die mitfühlende Zugbegleiterin ins Ohr. „Aber sehen Sie es so: Immerhin haben Sie einen Gutschein gespart, den Sie beim nächsten Mal einsetzen können“, fügte sie mit optimistischem Lächeln hinzu. Und hätte ich von Behavioral Economics keine Ahnung gehabt, wäre mein Seelenfrieden spätestens jetzt, mit diesem zusätzlich präsentierten Gewinn, wieder hergestellt gewesen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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