Behavioral Living Marketing

Fahrt ins Blaue

am
12. Januar 2011

Es war kurz nach Neujahr, als ich mich wieder einmal zu einer meiner Reisen in den Norden Deutschlands aufmachte. Da saß ich nun mit meiner Frau an einem dieser eiskalten Tage, nach einer langen, aber schönen Schneewanderung an einer Haltestelle, an der Omnibusse nur selten Halt machen. Fast wurde es mir auch warm ums Herz als wir beide, so richtig durchgefroren, endlich doch noch das wohlgeheizte Nahverkehrsmittel besteigen durften. An der Fensterscheibe versperrte ein großes Plakat den Blick auf die norddeutsche Tiefebene: „Fahrt ins Blaue“ stand da in grasgrünen Lettern. Eine Unternehmung, für die ich mich eigentlich nicht interessiere. Aber aus lauter Langeweile las ich weiter.

Losgehen sollte die Saisoneröffnungsfahrt in einem Komfortbus inklusive Getränkeservice. Danach Unterbringung in einem 4-Sterne-Hotel mit großzügigen und komfortablen Zimmern mit Bad oder Dusche, WC, Telefon und Sat-TV – drei Übernachtungen im Einzel- oder Doppelzimmer. Und gleich nach der Ankunft ein Begrüßungsgetränk. Dreimal Frühstück vom Buffet, drei Mal Abendessen. Jetzt wurde ich richtig neugierig: Na ja, für einen Kegel-Abend kann ich mich nicht wirklich enthusiasmieren, zumal ich mir bei meinem letzten Bowling mit den Kindern fast den Arm ausgekugelt hatte. Auch fragte ich mich, was wohl bei dem angekündigten „Unterhaltungsabend“ auf dem Programm stehen würde. Vielleicht war das die verdeckte Einladung zu einer Verkaufsveranstaltung (Teilnahme selbstverständlich freiwillig). Aber nichts von alledem. Stattdessen wurde auch der eigene Wellness-Bereich des Hotels aufgeführt: mit Schwimmbad, Sauna, Dampfbad, Whirlpool, Solarium und Fitnessgeräten. Der Busunternehmer muss Behavioral Economics studiert haben, denn seine Fahrt ins Blaue hatte er wunderbar, ja fast schon mit Perfektion präsentiert – jedes einzelne noch so kleine Plus wurde separat genannt, wie es sich gehört. In meinem Kopf eröffnete ich ein mentales Konto nach dem anderen. Schon begann ich, mich sogar auf den Unterhaltungsabend zu freuen. Und das alles für einen überschaubaren Preis (mein einziges mentales Verlust-Konto).

Aber sie kam doch noch, die richtig kalte Dusche zum Schluss. Denn die Liste der verlockenden Angebote wurde abgerundet durch den Hinweis auf eine Insolvenzversicherung, so als könne auch sie die Reiselust wecken. Ein Plus zu viel indes für meinen Geschmack. Denn die versprochene Sicherheit für den Fall, dass dieser Bus nach Nirgendwo fahren sollte, hätte mich am Ende zwar vor einem materiellen, nicht aber vor dem Verlust all dieser schönen, gerade erst eröffneten mentalen Konten bewahrt.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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