Märkte

Heiße Informationen

am
19. Januar 2011

Twitter, Facebook und andere virtuelle Netzwerke machen es möglich: So wurde ich doch tatsächlich von jemandem dazu eingeladen, sein Agieren an der Börse live mitzuerleben. Da macht mir (und vielen anderen natürlich auch) also jemand freiwillig vor, wie man Geld verdient. Im Minutentakt bekam ich ungefragt E-Mails mit heißen Tipps und jeder Menge Kauf- und Verkaufsempfehlungen zugesandt. Gespickt mit noch heißeren Hintergrundinformationen, ganz exklusiv, nur für uns, seine follower. Fast gewann ich den Eindruck, ich bräuchte ihm tatsächlich nur zu folgen, und dann klappt das schon mit dem Reichtum.

Nein, es geht mir hier nicht darum, die wahren Motive dieses scheinbar so selbstlosen Zeitgenossen zu ergründen. Vielmehr dachte ich nur darüber nach, wie sich die Zeiten doch geändert haben. Denn vor gut 30 Jahren, als ich im Devisenhandel zu arbeiten begann, standen uns im Gegensatz zu heute nur wenige Informationsquellen zur Verfügung. Damals gab es in den meisten Handelssälen noch keine TV-Geräte. Das Wirtschaftsfernsehen war noch nicht erfunden, kein n-tv, kein CNBC, kein DAF sendete sein Programm. Und selbst von den großen Nachrichtenagenturen haben wir nicht viel mitbekommen. Man könnte sagen, dass seinerzeit grob 90 Prozent der Informationen aus Gerüchten bestanden, aus Mutmaßungen, die die Händler untereinander am Telefon austauschten. Man könnte auch sagen: Um 17 Uhr, mit Ende des Handelstages, kam der Informationsaustausch praktisch zum Erliegen. Natürlich hatte man über Nacht, wenn es sein musste, noch ein Ohr am Puls der Märkte, besser gesagt: am Telefonhörer, falls die Kollegen in New York, Tokio und Singapur etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Ansonsten beschränkten sich die harten Informationen darauf, was der Fernschreiber viermal täglich ausspuckte: Eröffnungskurse, Mittelkurse, Schlusskurse, und dann und wann einige relevante Wirtschaftsdaten oder Nachrichten zu politischen Ereignissen. Und natürlich die Beschlüsse von Fed und Deutscher Bundesbank.

Wie beschaulich das im Rückblick erscheint! Heute leben wir – und das nicht nur an den Finanzmärkten – in einer Epoche des informationellen Overkills. Betrachtet man zum Beispiel den Arbeitsplatz eines Investmentbankers, so kann man den Eindruck gewinnen, je höher sein Rang, desto mehr Bildschirme sind auf der Tischplatte vor ihm aufgereiht. Windows hier, Livekommentare, Tickerbänder und Charts dort. Massen von Informationen, die kein Mensch in toto wahrnehmen, geschweige denn verarbeiten kann. Bestenfalls nur drei bis vier Prozent sollen es wissenschaftlichen Studien zufolge sein. Dass wir am Ende von diesen wenigen Informationen wiederum nur einen Bruchteil wirklich benötigten, galt übrigens schon damals: Was uns nicht in den Kram, also ins eigene Portfolio passte, haben wir ganz schnell verdrängt und manchmal auch nicht einmal weitergesagt. 

Ein Gerücht ist allerdings nicht aus der Welt zu schaffen, vor allem unter Ökonomen hält es sich hartnäckig: Jene Unterstellung nämlich, dass sich alle verfügbaren Informationen stets und sofort in den Marktpreisen niederschlagen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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