Behavioral Living Gesellschaft Politik Wirtschaft

Eine Trilogie von Neid III

am
20. April 2011

Sie glauben nicht an die Idee, dass Neid gerade bei einander nahestehenden Menschen besonders ausgeprägt sein kann? Dann empfehle ich Ihnen, noch einmal in der Bibel nachzulesen. Etwa die Geschichte von Kain und Abel. Oder die von Josef und seinen Brüdern. Weil der Vater, Jakob, diesen einen Sohn offensichtlich bevorzugte, brachte diese Ungerechtigkeit unter dessen Brüdern so viel Neid und Missgunst hervor, dass sie anfangs sogar daran dachten, Josef umzubringen. Dann aber beschlossen sie, ihn als Sklaven zu verkaufen.  

Der Neid ist der Katalysator für die so genannte hedonistische Tretmühle. Wer kennt nicht den Spruch: „To keep up with the Joneses“. Man will denselben Wohlstand wie der Nachbar haben. Weil dessen Vermögen, Fähigkeiten, der soziale Status als Referenzpunkt dienen. Dabei ist die Welt so lange in Ordnung, wie man sich selbst in allen Kategorien überlegen fühlt. Hat man indes den Eindruck, man bewege sich unterhalb dieses Referenzniveaus, wird dies wie ein Verlust empfunden, den man wettmachen möchte. Da es dem Nachbarn möglicherweise genauso geht und ein Überholen auf der Vermögensschiene unsererseits ebenfalls wie ein Verlust empfunden werden könnte, entsteht so ein regelrechter Wettlauf. Ein Wettlauf, den viele Menschen als unsinnig und unnötig verurteilen[i].

Interessanterweise ist mit dieser Tretmühle wirtschaftliches Wachstum verbunden, wie schon Bernard Mandeville[ii] erkannte.  Denn wenn solche Wettläufe zur gesellschaftlichen Norm werden, könnten gesamtwirtschaftlich Leistungen und Güter schneller als zuvor produziert und in Anspruch genommen werden, so der Arzt und Sozialtheoretiker. Man könnte sogar so weit gehen und behaupten, dass ohne relatives Bewerten oder gar Neid Wachstum überhaupt nicht möglich sei. In der Tat eine gewagte These! Wer sich allerdings Mandevilles Bienenfabel aus dem Jahre 1705 einmal durchliest – zur damaligen Zeit ein unglaublich provokantes, aber auch heute noch oft als anstößig empfundenes Werk – entdeckt, dass dort von einem „Laster“, einem grenzenlosen Habenwollen[iii] der Menschen die Rede ist. Und weil jeder aber seiner „Bedürfnissucht“ nachgeht, schafft er die Grundlage für „Industrie und Handel“. Der Mandevill‘sche Bienenstaat ist gespalten in einerseits fleißig arbeitende, von Entbehrung gezeichnete arme Menschen und andererseits egoistische Reiche, die ihrem Laster ungehemmt nachgehen. Am Ende wird in der Bienenfabel die Auflösung des Staates beschrieben, weil sich die Masse der Arbeitenden betrogen fühlt. Mit der Folge, dass sich der allseitige Ruf nach Tugend durchsetzen konnte. Es gab keinen Betrug mehr, Schuldner zahlten rechtzeitig, ein jeder erfüllte seine Pflichten und lebte sparsam. Mit der neuen Genügsamkeit sanken allerdings auch die Bedürfnisse und damit die Nachfrage. Die Preise von Land und Häusern brachen zusammen, Handel und Handwerk verfielen, und Kunst und Vergnügen brauchte wegen der neuen Enthaltsamkeit auch niemand mehr. Eine Welt voller Tugend, aber ohne Neid? – Das wäre in der Tat eine Welt ohne Wachstum und glücklicherweise ist sie bis heute Utopie geblieben.


[i] Nicht immer wird jedoch eine hedonistische Tretmühle durch Neid befeuert, sondern durch gesellschaftliche Zwänge. So stellt etwa der Ökonom Robert H. Frank fest, dass es nicht auf Neid zurückzuführen sein muss, wenn man sich ein gleich großes Auto wie Freunde Nachbarn oder Verwandte es haben kaufen möchte. Allein schon aus Gründen der Verkehrssicherheit könnte eine solche Anschaffung gerechtfertigt sein. Als einziger sich mit einer alten Rumpelkiste fortzubewegen, wenn alle anderen große verkehrssichere Autos fahren, kann nämlich ein erhöhtes Unfallrisiko zur Folge haben.

[ii] Bernard Mandeville (1670 – 1733)

[iii] vgl. Stapelfeldt, Gerhard (2001), Der Merkantilismus: Die Genese der Weltgesellschaft vom 16. bis 18. Jahrhundert, Freiburg (ça ira-Verlag)

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Wichtiger Hinweis
Zurzeit werden im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken und Chatgruppen, mein Foto und mein Name im Zusammenhang mit Aktientipps/Finanzanlagen, auch unter Angabe einer falschen Mobilnummer, missbräuchlich verwendet. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich keinerlei Anlageempfehlungen für irgendwelche Finanzprodukte, Finanzanlagen oder bestimmte Wertpapiere abgebe.
Archiv