Behavioral Living

Ein Abend in der Münchner Oper

am
13. August 2010

Von Zeit zu Zeit steige ich in München bei meinen Geschäftsreisen im Mandarin Oriental Hotel ab und erhalte regelmäßig den Newsletter des Hauses. So auch gestern. Ich hatte es mir schon vor meinem Computer bequem gemacht, befand mich gedanklich im Reich der Erholung, da öffnete ich die Email: Ein Abend in der Münchner Oper wurde mir da angeboten – genau das Richtige für meine Frau und mich nach vielen anstrengenden Wochen, dachte ich.

Das Ganze las sich verlockend: Champagner-Empfang mit Canapées, aufgefahren auf dem Dachgarten eines der besten Münchner Hotels. Danach Fahrt mit einem Mercedes-Limousinen-Service zur Aufführung von Verdis La Traviata im Bayerischen Staatstheater und zurück ins Hotel. Dort würde gegen 22 Uhr ein „3-Gang-Luxus-Gourmet-Menu“ vom Michelin-Sterne-Koch Tobias Jochim (Restaurant Mark’s) im Hotel auf uns warten. Serviert natürlich mit den passenden Weinen. Pro Person für 245 Euro.

Doch dann las ich weiter: Obgleich sich der Abend überwiegend in der Umgebung des Hotels abspielt, war die Übernachtung nicht im Preis inbegriffen, denn die Zimmer wurden separat ab 295 Euro (aufwärts versteht sich) angeboten. Und dann fing es sich bei mir an zu drehen: Denn für das Frühstück sollte ich noch einmal sage und schreibe 36 Euro berappen. Und das pro Person. Aber es kommt noch dicker: Obwohl das Hotel einen Abend in der Oper anbietet, ist in einer Fußnote kleingedruckt vermerkt, dass der Preis nicht die Opernkarten beinhaltet (Oha!).

Natürlich kann man nicht erwarten, dass man für 245 Euro einen Champagnerempfang, Limo-Service, Dreigang-Menü auch noch die Opernkarten bekommt – aber 245 bilden für meine und vermutlich auch für die Psyche anderer Menschen einen Referenzpunkt. Und jede zusätzliche Kostenposition wird mental als separater Verlust verbucht. Also die mindestens 295 Euro für die Übernachtung im einfachsten Zimmer. Und dann noch einmal zwei Frühstücke à 36 Euro als besonders heftig empfundene mentale Verluste. Plus die Opernkarten. Die gibt’s im Staatstheater ab 11,50 Euro. Aber wer lässt sich, womöglich champagnerselig, von einer Limousine dorthin chauffieren, um dann während der Aufführung stehen zu müssen? Ein angemessener Sitzplatz hätte pro Person noch einmal 133,50 Euro gekostet.

Ich habe mir zunächst nicht die Mühe gemacht, all diese mentalen Verlustkonten zusammenzurechnen, sondern wäre beinahe dem ersten Impuls gefolgt, die Email einfach zu löschen. Doch mein verhaltensökonomischer Ehrgeiz ließ mir keine Ruhe. Ich rechnete und kam auf Kosten von insgesamt mindestens 1.124 Euro für einen Opernabend in München zu zweit. In der Tat ein schwer verdaulicher Betrag und auch noch jenseits der 1.000 Euro-Schwelle. Aber alles zusammen präsentiert (= Agregation) hätte mental immerhin zwar einem hohen, aber einzigen Verlust entsprochen, den das Hotel hätte abmildern können. Indem es unter dem Preis jede einzelne Leistung inklusive einer Opern-Besprechung in blumiger Beschreibung aufgeführt hätte. Mit dem Erfolg, dass jede dieser Leistungen separat (auf einzelnen mentalen Konten, d. h., segregiert) vom Interessenten verbucht worden wäre. Und der hohe Gesamtpreis? Pro Person ausgewiesen, wären es doch nur 562 Euro gewesen. Eigentlich klingen 575 Euro sogar besser. Immer noch zu teuer? Nicht, wenn das Hotel neben diesem Angebot das gleiche Paket, jedoch mit Übernachtung in der Juniorsuite zu 775 Euro angeboten hätte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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