Wirtschaft

Die Leiden der Mittelschicht

am
21. Juni 2010

Kürzlich rief ein Beitrag der BBC über die Auswirkungen zukünftiger  Steuererhöhungen der neuen Koalitionsregierung in Großbritannien geradezu eine Flut von Reaktionen hervor. Es war nämlich die Rede davon, dass Steuererhöhungen und Kürzungen öffentlicher Leistungen vor allem die Mittelschicht treffen würden – letztere ist übrigens auch hierzulande zurzeit ein Thema in den Medien. Ein Zuschauer, dessen jährliches Einkommen etwa 50.000 Pfund (knapp 60.000 EUR) pro Jahr betrug, beklagte sich, er würde nicht mehr über die Runden kommen, falls die Einkommensteuer erhöht würde. Dies wiederum provozierte geradezu  hämische Reaktionen, denn es handelte sich bei besagtem Zuschauer nicht um einen typischen Mittelschichtler.

Tatsächlich liegt man in Großbritannien mit 50.000,– Pfund Jahreseinkommen in der Gruppe der oberen 5 Prozent aller Haushalte (Institute for Fiscal Studies). Was jedoch nicht bedeutet, dass der Schmerz über eine (prozentuale) Einkommenseinbuße geringer als der einer Familie mit geringerem Einkommen wäre. Aber zum Glück können sich die Menschen an neue Lebenslagen, also auch Einkommensveränderungen, relativ schnell anpassen. Eine Gehaltserhöhung mag anfangs noch eine gewisse Befriedigung bringen, aber schon relativ schnell (oft schon mit der Gehaltsabrechnung einen Monat später) hat man sich an den höheren Lebensstandard gewöhnt. Das gilt umgekehrt auch für Einkommenseinbußen.

Einschnitte beim Einkommen befürchten auch in Deutschland viele Menschen. Womit aber auch schon der erste Teil der Gewöhnungsphase begonnen hat. Dennoch sollte die Regierung  bald die Karten auf den Tisch legen. Auch wenn man eigentlich froh sein sollte, noch so lange wie möglich den gegenwärtigen höheren Lebensstandard halten zu können, kann man sich eigentlich nicht mehr so richtig darüber freuen, wenn man nicht weiß, wie lange noch. Auf eine Steuererhöhung warten zu müssen ist womöglich ähnlich unangenehm wie die Zeit bis zum nächsten unangenehmen  Zahnarztbesuch zu überbrücken. Was übrigens genauso schmerzhaft sein kann wie die Operation selbst.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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