Die Leiden der Mittelschicht
Kürzlich rief ein Beitrag der BBC über die Auswirkungen zukünftiger Steuererhöhungen der neuen Koalitionsregierung in Großbritannien geradezu eine Flut von Reaktionen hervor. Es war nämlich die Rede davon, dass Steuererhöhungen und Kürzungen öffentlicher Leistungen vor allem die Mittelschicht treffen würden – letztere ist übrigens auch hierzulande zurzeit ein Thema in den Medien. Ein Zuschauer, dessen jährliches Einkommen etwa 50.000 Pfund (knapp 60.000 EUR) pro Jahr betrug, beklagte sich, er würde nicht mehr über die Runden kommen, falls die Einkommensteuer erhöht würde. Dies wiederum provozierte geradezu hämische Reaktionen, denn es handelte sich bei besagtem Zuschauer nicht um einen typischen Mittelschichtler.
Tatsächlich liegt man in Großbritannien mit 50.000,– Pfund Jahreseinkommen in der Gruppe der oberen 5 Prozent aller Haushalte (Institute for Fiscal Studies). Was jedoch nicht bedeutet, dass der Schmerz über eine (prozentuale) Einkommenseinbuße geringer als der einer Familie mit geringerem Einkommen wäre. Aber zum Glück können sich die Menschen an neue Lebenslagen, also auch Einkommensveränderungen, relativ schnell anpassen. Eine Gehaltserhöhung mag anfangs noch eine gewisse Befriedigung bringen, aber schon relativ schnell (oft schon mit der Gehaltsabrechnung einen Monat später) hat man sich an den höheren Lebensstandard gewöhnt. Das gilt umgekehrt auch für Einkommenseinbußen.
Einschnitte beim Einkommen befürchten auch in Deutschland viele Menschen. Womit aber auch schon der erste Teil der Gewöhnungsphase begonnen hat. Dennoch sollte die Regierung bald die Karten auf den Tisch legen. Auch wenn man eigentlich froh sein sollte, noch so lange wie möglich den gegenwärtigen höheren Lebensstandard halten zu können, kann man sich eigentlich nicht mehr so richtig darüber freuen, wenn man nicht weiß, wie lange noch. Auf eine Steuererhöhung warten zu müssen ist womöglich ähnlich unangenehm wie die Zeit bis zum nächsten unangenehmen Zahnarztbesuch zu überbrücken. Was übrigens genauso schmerzhaft sein kann wie die Operation selbst.