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Eine heikle Diskussion

am
20. September 2017

Gerade während der vergangenen Tage ist wieder eine Debatte darüber entbrannt, wer eines Tages EZB-Präsident Mario Draghi beerben soll. Aus deutscher Sicht  kommt dafür einzig und allein Bundesbankpräsident Jens Weidmann in Frage. Außerdem: Deutschland sei jetzt einfach einmal dran, den nächsten EZB-Präsidenten zu stellen, ist vielerorts zu vernehmen. Italien und Frankreich sind dagegen. Sie hätten zwar nicht grundsätzlich etwas gegen einen Deutschen an der Spitze der EZB, aber Weidmann darf es nicht sein. Obgleich Draghis Nachfolge erst im Oktober 2019 ansteht, scheinen sich bereits heute zwei Lager in Sachen Nachfolgediskussion herauszubilden. Dabei gibt es ein offensichtliches Nord-Süd-Gefälle. Auf der einen Seite der Norden, insbesondere Deutschland, jene Länder also, die Weidmann vor allen Dingen wegen seiner Gegenposition zu Mario Draghis lockerer Geldpolitik gerne an der Spitze der Zentralbank sehen würden, um die Stabilität der Sparzinsen und der Währung zu gewährleisten. Auf der anderen Seite sind die Weidmann-Verhinderer, naturgemäß diejenigen, die bislang und auch in Zukunft von der lockeren Geldpolitik Mario Draghis profitieren, also vornehmlich Länder im Süden Europas.

Bei der ganzen Diskussion wird vergessen, dass der EZB-Präsident zwar die Zentralbank repräsentiert, Entscheidungen aber vom EZB-Rat getroffen werden. Das Gleiche gilt für das US-Pendant Mario Draghis, Janet Yellen. Gerade an der derzeitigen Position der Fed-Präsidentin – ihre Amtszeit endet bereits im Februar 2018 – wird deutlich, dass sie zwar den Offenmarktausschuss prägen, aber nicht unbedingt beherrschen kann. Tatsächlich wäre es möglich, dass US-Präsident Donald Trump ihr eine weitere Amtszeit zugesteht, wohl wissend, dass er außerdem noch neue Mitglieder für die derzeit drei vakanten Sitze im Direktorium benennen muss, die im Zweifel im Sinne der Trump-Administration bei wichtigen Entscheidungen votieren könnten.

 

Vernachlässigung dessen, was nicht entschieden wurde

Aber selbst wenn man dazu neigt, die Macht des Präsidenten einer Zentralbank als sehr hoch ein- oder gar zu überschätzen, und womöglich auch noch vorschnell die lockere Geldpolitik eines Mario Draghi verurteilt, sollte man sich die Frage stellen, was eigentlich passiert wäre, wenn ein ausgewiesener Zinsfalke wie Jens Weidmann während der vergangenen Jahre das Sagen gehabt hätte. Denn wir tendieren immer dazu, nur die tatsächlich gefällten Entscheidungen im Nachhinein zu bewerten, während wir es meistens versäumen, uns auszumalen, was passiert wäre, hätte man einer anderen Option den Vorrang gegeben. Dies sich vorzustellen fällt naturgemäß schwerer, weil alternative Szenarios nicht so leicht verfügbar sind wie reale. Hätte ein geldpolitischer Falke an der Spitze der EZB, immer in Angst vor Inflation und in einem Umfeld nachhaltig sinkender Inflationsraten oder gar drohender Deflation, angemessen reagiert? Wie wäre es um die Rettung des Euro – sofern man sie denn tatsächlich wollte – ohne die quantitativen Lockerungsprogramme bestellt gewesen? Vielleicht hätten wir dann tatsächlich bereits heute einen Nord-Euro mit einem extrem hohen Außenwert und einen schwachen Süd-Euro, wie es sich Euro-Gegner immer gerne vorgestellt haben. Wenn heute schon die Exporteure angeblich jammern, weil ihnen der Euro zu fest erscheint, wie wäre es erst, wenn ein super stabiler Nord-Euro nicht 1,20, sondern womöglich 2,00 USD kosten würde? Antworten, die wir zum Glück nicht geben müssen, weil sie hypothetisch sind. Doch handelt es sich hierbei um Gedanken, die man sich – jenseits aller politischer Räson – bei der Vorauswahl für einen Notenbankpräsidenten durchaus einmal machen sollte.

Gedanken haben sich indes die Anleger gemacht, die wie jeden Mittwoch von der Börse Frankfurt zu ihrer Stimmung befragt werden. Das Ergebnis habe ich HIER in Schriftform und DORT als Video-Interview kommentiert.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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