Behavioral Living Gesellschaft

Der Deutschen liebstes Kind

am
30. April 2012

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich besitze kein Auto und wohne mitten in der Stadt. Deswegen hat mich auch neulich der Vorschlag von Thomas Straubhaar, Berufspendlern eine neue Steuer aufzuerlegen, nicht wirklich betroffen. Der Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) hatte nämlich am vorvergangenen Freitag vorgeschlagen, angesichts „des Leids“, das Auto fahrende Berufspendler den Städtern antun[1], die ohnehin paternalistische Pendlerpauschale abzuschaffen und diese Privilegierung sogar im Gegenzug durch eine Steuer zu ersetzen. Man kann sich vorstellen: Die Wut der Bundesbürger war heftig. Da half es auch nicht, dass der Ökonom nachträglich beteuerte, er habe die Einführung einer solchen Steuer ja nicht explizit gefordert.

Herrn Straubhaar sollte die Reaktion der Berufspendler indes nicht überrascht haben. Denn er präsentiert den Betroffenen mit seinem Vorschlag gleich zwei Verluste auf einmal: den Entzug eines Steuervorteils und die Belastung durch eine neue Steuer. Und das auch noch im Zusammenhang mit dem liebsten Kind und wichtigsten Statussymbol der Deutschen, ihrem Auto.

Dabei befindet sich Thomas Straubhaar gar nicht mal so sehr im Unrecht. Wenn schon Paternalismus, dann sollten solche staatlichen Eingriffe auch richtig und konsequent durchgezogen werden. Und zwar so, dass möglichst das Wohlbefinden aller Bürger erhöht wird. Dabei geht es mir gar nicht mal darum, dass de facto ja bislang vor allem verdienende Alleinstehende von der Pendlerpauschale profitieren können. Wenn Menschen ins Grüne ziehen, dann tun sie dies oft nicht nur der besseren Luft und größeren Ruhe wegen. Vielmehr spielen auch ökonomische Motive eine wichtige Rolle, denn außerhalb der Großstädte sind die Mieten niedriger und der Kauf eines Eigenheims günstiger. Wobei allerdings die Fahrtkosten, die so ein Umzug mit sich bringt, meist unterschätzt werden. Vor allem, wenn wegen der größeren Distanzen zum Arbeitsplatz, zur Schule etc. die Anschaffung eines Zweitwagens notwendig wird.

Nicht vergessen sollte man dabei, dass es sich beim eigenen Haus um ein so genanntes Positionsgut handelt. Im sozialen Vergleich steht man nun einmal besser da, wenn man in einem großen Haus auf dem Lande residiert, möglichst noch in einer Nachbarschaft mit deutlich bescheideneren Domizilen. Das wirkt womöglich beeindruckender als das kleine Appartement in der City, das genauso viel kosten würde. Generell sind viele Menschen dazu bereit, sogar positionsunabhängige Güter aufzugeben, um sich damit eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung zu erkaufen. Eines dieser positionsunabhängigen Güter ist eben die Nähe zum Arbeitsplatz. Über die gravierenden Nachteile des Pendelns, wie der Verlust von Lebensqualität und -zeit habe ich schon an anderer Stelle geschrieben (hier und hier). Ob eine Pendlersteuer – selbst wenn nur vorsichtig und eingeführt – allerdings zu einer Erhöhung des Wohlbefindens in der Gesellschaft als Ganzes beitragen würde, ist indes fraglich. Natürlich erschiene das Positionsgut „geräumiges Haus auf dem Lande“ dann ökonomisch weniger attraktiv und die Umweltbelastung durch Pendler könnte sich deutlich verringern. Ja, die verhinderten Pendler hätten sogar mehr Zeit für sich und ihre Familien. Aber das so gesparte Geld würde am Ende womöglich doch nur in andere Positionsgüter gesteckt. Und falls jenes einmal nicht reichen sollte, wird einfach ein bisschen mehr gearbeitet.



[1] Vgl. Interview mit der Hamburger Morgenpost vom 20.4.2012

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE
4 Kommentare
  1. Antworten

    PeWi

    30. April 2012

    Man beachte, dass die Unternehmen mehrheitlich auf der grünen Wiese zu finden sind, unerreichbar mit dem Öffentlichen Nahverkehr, so dass auch die Städter ein Auto besitzen müssen, um überhaupt zu ihren Arbeitsplatz zu kommen. Das wird sehr gern unterschlagen.

  2. Antworten

    E.Glaser

    5. Mai 2012

    Angebot und Nachfrage.

    In den letzten 20 Jahren hat sich ein großer Betrieb hier in der Nähe gewandelt. Früher hauptsächlich Produktion. Heute hauptsächlich Entwicklung und Verwaltung.

    Die verbliebenen Schichtarbeiter kommen immer noch mit den Werkbussen. Die Büroarbeiter alle mit dem Auto. Warum kann jemand, der im Büro arbeitet nicht mit dem Werkbus fahren?

    Unternehmen, die Schul- und Werkbusse betreiben, würden ja gerne ihr Angebot ausweiten. Wenn die Pendler den öffentlichen Nahverkehr auch nutzen.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv