Behavioral Living Gesellschaft

Clockwork Oranje

am
14. August 2015

Meine Familie und ich verbrachten einen wundervollen Urlaub in der malerischen holländischen Hauptstadt Den Haag. Wir hatten uns in einem Privathaus eingemietet und versorgten uns die meiste Zeit selbst. In den Niederlanden ist fast alles wie bei uns. Der Müll wird getrennt, H & M hat mehrere Filialen in der Fußgängerzone; es wimmelt von Fahrradfahrern, dennoch sind Auto-Parkplätze in der Innenstadt ziemlich rar. Nur der öffentliche Nahverkehr ist deutlich teurer als in Frankfurt, dafür funktioniert er reibungslos, und alle Bahnen fahren ausgesprochen pünktlich. Überhaupt wirkt alles ein bisschen sauberer als bei uns. Und wohlgeordneter, besser organisiert. Das fängt schon morgens beim Brötchenkaufen an, denn ich musste an meinem ersten Urlaubstag mit Erstaunen feststellen, dass ich in der Bäckerei mit Bargeld fehl am Platze war. In feinstem Englisch (Holländisch hätte ich wohl nicht so gut verstanden) erklärte mir deren Geschäftsführer, leider könne man in seinem Laden nicht mehr mit Euro und Cent, sondern nur noch mit einer Bank- oder Kreditkarte die (wirklich ausgezeichneten) Brötchen und Kuchenstücke erwerben.

Ich solle mir nichts vormachen, aber in ein paar Jahren würde wohl in Holland niemand mehr mit Bargeld bezahlen.

Natürlich bin ich niemand, der sich gegenüber dem Fortschritt verschließt. Etwas merkwürdig kam es mir dennoch vor, als ich im Parkhaus in Amsterdam einen einzigen Euro an Park-Gebühr mit meiner Maestro-Karte mittels PIN-Zahlung beglich. Aber vor allem hatte ich nicht bedacht, dass bei all den kleinen Abbuchungen womöglich eine Postengebühr meiner Hausbank von jeweils 0,20 Cent pro Geschäftsvorfall anfallen könnte. Da wird das Parken gleich einmal 20 Prozent teurer. Und die Fahrt mit der Straßenbahn, die ohnehin schon stolze 3,60 Euro kostet, gleich mehr als 5 Prozent.

Aber lassen wir mal solche kleinlichen Rechnereien beiseite. Allein die Vorstellung, meinen Sohn nicht mal mehr schnell zum Bäcker schicken zu können, um ein paar Brötchen einzukaufen, weil er mit seinen 14 Jahren noch nicht über eine Geldkarte verfügt und ich ihn auch nicht mit meiner Karte samt Pin losschicken wollte, machte mich nachdenklich. Wahrscheinlich würden auch die 20 Euro von Tante E., die meine Kinder alljährlich im Geburtstagsbrief vorfinden, in Zukunft wegfallen. Ganz zu schweigen von den spontanen Spenden für Straßenmusikanten. Ohne klimpernde Euro-Münzen im Hut wären die wahrscheinlich ganz schnell weg. Die Frankfurter Zeil ohne Straßenmusik? Vielleicht ist das ja auch so gewollt.

 

Schöne neue Welt

So habe ich mich auch nicht mehr aufgeregt, als wir im Escher-Museum in Den Haag für 24,50 Euro (habe natürlich bargeldlos gezahlt) eine Familienkarte erstanden. Unter Familie versteht man in den Niederlanden Vater, Mutter und (maximal) zwei Kinder. Und weil ich auch meiner jüngsten Tochter nicht die schönen optischen Täuschungen des Escher-Museums vorenthalten wollte, entrichtete ich schweren Herzens den Extra-Eintritt von 6,50 Euro für das dritte Kind. Das fühlte sich nach dem Familienrabatt nicht nur wie ein heftiger Extraverlust auf einem gesonderten mentalen Konto an. Vor allem verstand ich die implizite Botschaft: Beim nächsten Mal sollte ich mich bei der Kinder(er)zeugung etwas zurückhaltender gerieren.

 

Nach dem Museumsbesuch schritt ich auf den (peinlich sauber gefegten Vorplatz), wo ich unser Auto geparkt hatte. Sieben Euro Parkgebühr für etwas mehr als zwei Stunden hatte ich berappt, natürlich nur mit EC-Karte zahlbar. Ich blickte kurz in den blauen Sommerhimmel: Nein, keine Drohne weit und breit. Derer hätte es auch nicht bedurft, denn der Parkplatz war, wie viele Orte in Den Haag, sowieso videoüberwacht.

Schöne neue Welt. Clockwork Oranje.

SCHLAGWÖRTER
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4 Kommentare
  1. Antworten

    Torsten

    14. August 2015

    Sehr geehrter Herr Goldberg,

    ein bedrückender Bericht. Ich bitte Sie, das nachfolgende nicht als bösartige Kritik an Ihrer Person zu werten, aber:
    Ich an Ihrer Stelle hätte folgendes gemacht: Dem Bäcker gesagt, dass er seine Brötchen (egal wie gut die schmecken) behalten kann, und zwar so, dass das auch jeder sonst in dem Laden mitbekommt. Und wenn es wirklich so aussieht mit den Parkgebühren/Museumeintritten etc. wie sie es beschreiben: Entweder darauf ankommen lassen (Bargeld ist – noch – das offizielle Zahlungsmittel in der EU!) oder: Den Urlaub abbrechen und jeden (Hotel, etc.) wissen lassen warum!
    Sicher ist das schwer mit einer Familie…aber so lange niemand den Mund aufmacht und dann nachher nur seine Betroffenheit in einen Facebookeintrag oder den eigenen Blog niederschreibt, wird es genau darauf raus laufen, was sie beschrieben haben.

    • Antworten

      AltFryRhätien

      15. August 2015

      Genau so sollte es sein, lieber Torsten. Die Zeit für tatenloses Gejammer ist schon längstens abgelaufen. Jetzt müssen mutige Taten her, aber ein bisschen plötzlich.

  2. Antworten

    fabian&max sagen:

    14. August 2015

    werter torsten, wir stimmen ihrem kommentar voll und ganz zu-so ist es….

  3. Antworten

    Hinterfrager

    15. August 2015

    Wie so oft sehr „deutsche“ Kommentare, auch an dieser Stelle! Dass Bargeld auf dem Rückzug ist, ist vornehmlich einer unkritischen, da offensichtlich wenig informierten Öffentlichkeit anzulasten. Tja, nicht mehr allzu vielen scheint der feine, aber dennoch große Unterschied (und nicht nur unter rechtlichem Aspekt) zwischen Bar- und Buchgeld bewusst zu sein…

    Leute, Ihr habt es doch selbst in der Hand! Man kann – locker – vier oder mehr Stunden pro Tag mit sinnlosem Ablenkungsmist im Celibrity- und Tittenprogramm verdaddeln oder aber sich wenigstens eine Stunde pro Tag um wirklich relevante Informationen bemühen, oder? Ein Bekannter in Tel Aviv gab mir vor nicht allzu langer Zeit zu verstehen: Hey, wovon wollt Ihr in der Zukunft leben? Von der sinnbefreiten Ablenkung vom „Alltag“ oder von wirklich nachhaltigen Investitionen ins wichtigste Kapital, das es überhaupt gibt – dem Rohstoff Geist? Eine mehr als berechtigte Frage, die sich nicht nur mit Blick auf einige mediterrane Nachbarn des kleinen Landes stellt…

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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